19.07.2010

Die Nornen

Mathilde Wesendonck: Natur-Mythen. 1865Die Nornen


1865

Erzählung aus dem Sagenbuch 


Diese Sage wurde im Buch Natur-Mythen von Mathilde Wesendonck im Jahr 1865 veröffentlicht.




Mary H. Forster: Die Nornen: Urd, Verdandi und Skuld. 1901
 Mary H. Forster: Die Nornen: Urd, Verdandi und Skuld. 1901.

Mathilde Wesendonck: Die Nornen. 1865
Wesendonck, Mathilde: Die Nornen. In: Natur-Mythen. Zürich 1865, S. 99. [1]
 
Die Nornen.

Auf dem Jungfernbühl in Nieder-Bayern, an dessen Fuß ein Weiher und ein großer Forst liegt, der Frauenwald geheißen, hatten einst drei Jungfrauen ihr Schloß. Zwei von ihnen waren mild und gut und trugen weiße Kleider, die dritte aber war böse und furchtbar und trug ein schwarzes Kleid. Ihre Augen glühten wie feurige Kohlen. Jede der Jungfrauen hatte einen Rocken an der Seite hängen; sie spannen Flachs mit der Spindel. Die beiden guten Schwestern hatten zwei Köpfe und einen Sinn, die Dritte aber fügte sich niemals ihrem Willen. Das Gespinst der Beiden war heilbringend. Noch im vorigen Jahrhundert bewahrte man in Klöstern Leinwand, welche von ihnen herrühren sollte. Man gab davon armen Wöchnerinnen ein handgroßes Stück, um schmerzlos zu gebären. die Dritte aber fertigte ein sehr gefürchtetes Seil, an welches sie Menschen band, und mit Hülfe der Schwestern an sich zog. Von einem Berg zum Andern spannte sie Seile. Oft warfen sie schöne Gewebe hoch in die Luft, wo dieselben hangen blieben, ohne herunter zu fallen. Die Menschen erwarteten alsdann gutes Wetter auf Erden.

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Die drei Schicksalsgöttinnen, Urdhr, Verdandi und Skuld, Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, wohnen in einem Saal am Urdharbrunnen, welcher unter der dritten Wurzel der Welt-Esche Yggdrasil entspringt. Sein Wasser ist heilig und jeden Tag schöpfen die Nornen daraus, um damit die Aeste des Weltbaumes zu benetzen, der davon immergrün und in ewiger Jugend prangt. Alles, was mit seiner lautern Fluth besprengt wird, verdorrt und vergeht nicht und nimmt die Farbe der Unschuld an. Von den Zweigen der Esche senkt sich der Thau auf die Thähler der Erde herab; er tränkt die Bienen und nähret Pflanzen und Gewächse. Zwei schwarze Schwäne schwimmen zu den Füßen der Nornen, die Tag für Tag Gesetze legen, den Zeitenkindern das Leben erliesen und des Schicksals walten. Sie sind Urtheilerinnen am Göttergericht, welches sich unter der Esche versammelt und über die Weltregierung beräth. Urdhr schneidet die Loosstäbe, Verdandi merkt sie mit Runen und wirft sie auf die Leinwand, Skuld nimmt sie auf und fällt das Urtheil. Unabwendbar ist der Nornen Spruch. Sie selber steigen zur Erde nieder, ihn zu vollziehen, und keiner der Sterblichen entrinnt seinem Schicksal.

 

Bilder:
  1. Vergrößern  Wesendonck, Mathilde: Natur-Mythen. Zürich 1865. Druck von David Bürkli in Zürich.

Quellen:
  1. Wesendonck, Mathilde: Natur-Mythen. Zürich 1865, S. 99 - 100. 

Links:

Bibliografie:
  • Wesendonck, Mathilde: Natur-Mythen. Zürich 1865. Druck von David Bürkli in Zürich.  


Die Walküren

Mathilde Wesendonck: Natur-Mythen. 1865Die Walküren


1865

Erzählung aus dem Sagenbuch 


Diese Sage wurde im Buch Natur-Mythen von Mathilde Wesendonck im Jahr 1865 veröffentlicht.



Brünnhilde mit Grane, 1876
Amalie Materna, die erste Bayreuther Brünnhilde mit ihrem Ross Grane
(Uraufführung: Der Ring des Nibelungen - Götterdämmerung am 17. Aug. 1876)
(Das Pferd Cocotte war ein Geschenk von König Ludwig II.)

Mathilde Wesendonck: Die Walküren. 1865
Wesendonck, Mathilde: Die Walküren. In: Natur-Mythen. Zürich 1865, S. 101. [1]
 
Die Walküren.

Die Walküren oder Sieg-Jungfrauen sendet der Göttervater Odin zur Schlacht aus, um die Helden, welchen bestimmt ist im Kampfe zu fallen, zu küren oder zu wählen, und davon tragen sie den Namen: Wal-kürerinnen. Sie walten des Sieges. Helmgeschmückt, Strahlen auf den Spießen, reiten sie in Sturm und Wetterleuchten durch die Luft; wenn ihre Rosse die langen Mähnen schütteln, so fällt Thau in die Thäler und Hagel auf die Wälder herab. Alsdann erwartet der Landmann ein fruchtreiches Jahr.

Sie entflammen in dem noch träumenden Jüngling den Heldengeist seiner Vorfahren und reizen seinen Durst nach kriegerischen Thaten. Auch nehmen sie Schwangestalt an und schweben in der Schlacht wie im Seesturm als Vögel zu Häupten ihrer Günstlinge. So verwundete einst Helgi in der Hitze des Streites auf dem beeisten Wänersee die in Schwangestalt schirmend über ihm schwebende Kara, und mit ihr entfliehet sein Glück.

Den Nornen sind sie verwandt. Die jüngste Norne, Skuld (Zukunft), trägt selbst den blitzenden Schild den Schlachtjungfrauen vorauf, wenn deren Ausritt den Göttern verhängnißvoll ist. Am Tage der Schlacht sieht man sie, die Brust mit hellschimmerndem Panzer geschmückt, einem Hügel zureiten, in dessen Nähe sie plötzlich verschwinden. Durch eine Felsenspalte gewahrt man, wie sie auf Spießen ein blutiges Gewebe aufziehen, wobei ihre Pfeile statt der Weberschifflein grausig hin und her schießen. Fernhin schallet wie Schwanengesang ihr weissagendes Lied.

Zuweilen auch streifen sie ihr Gefieder ab und lagern sich als Jungfrauen von blendender Schönheit im weichen Moose am Ufer eines einsamen See's, oder im kühlen Waldschatten und spinnen köstlichen Lein. In Walhall dienen sie Odin als Wunschmädchen, den Tisch ordnend und den Einheriern, den Vorkämpfern im letzten Streite der Götter, den Meth aus goldenen Trinkhörnern reichend.

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Ein Jüngling ging einmal um Mitternacht für seinen zum Tode erkrankten Vater in höchster Eile den Arzt im nächsten Städtchen holen. Sein Weg führte ihn durch den Wald an einem Steinbruche vorbei, und da sah er im Mondschein drei wunderschöne Mädchen sitzen. Sie wünschten ihm gute Nacht, und als er trotz seiner Athemlosigkeit freundlich dankte und grüßte, schwebten sie plötzlich als Vögel vor ihm auf und verschwanden über'm Thalbach dem Walde zu. Der heimkehrende Sohn fand den erkrankten Vater bereits genesen.

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Es war einmal ein Schmied, der hieß Wieland und ward gerühmt in deutschen Landen als der Schmiede Beßter. Da trug es sich zu, daß er eines Abends nach Wasservögeln ausging, um Pfeile zu prüfen. Eben flog ein Zug wilder Schwäne über den See. Er zielte und traf. Ein blutiges Federkleid fiel auf das sanft sich abdachende Ufer herab, während die übrigen Schwäne mit gellendem Schrei auseinander fuhren und das Weite suchten. Der Schmied hob das Gefieder vom Boden auf und hing es daheim sorgfältig an einen Nagel im wohlverschlossenen Waffenschranke. Unterdessen war es Nacht geworden und der Wind heulte um die einsame Schmiede. Sinnend saß der Mann am Heerde und starrte in die erbleichende Gluth. Da war ihm, als vernähme er draußen ein leises Wimmern und ein noch leiseres Pochen. Er lauschte gespannt, und nun hörte er deutlich ein schüchternes Klopfen an der Thüre. Rasch erhub er sich von seinem Sitze und öffnete. Sieh, da stand ein Weib vor ihm, schön wie der Tag, den schneeweißen Leib in einen weiten Schleier gehüllt und bat mit flehender Stimme um Einlaß. Freundlich lud er die Bittende in seine Hütte, warf trockne Eichstämme in die verglimmende Esse, daß bald ein lustiges Feuer im Kamin aufflackerte, schob seinem schönen Gaste einen Schemel dicht zum Heerde und sprach der vor Kälte Zitternden Muth und Trost ein. Nun gewahrte er beim Scheine der helllodernden Flamme, daß sie dicht am Herzen aus einer frischen Wunde blutete. Hülfreich pflegte ihrer da Wieland, wusch das Blut aus der Wunde und legte schmerzstillenden Balsam darauf, denn er war kundig der Kräuter. Plötzlich fiel ihm bei, daß er in sicherer Truhe einen Festtagsanzug seiner jüngst verstorbenen Schwester bewahre. Lange und heiß hatte er sie beweint, die seines Heerdes liebliche Hüterin war; jetzt öffnete er, holte den Putz hervor und geleitete das schöne Weib in die Kammer, auf daß sie sich ankleide. Es währte nicht lange, so trat sie im Gewande der Schwester vor Wieland hin, der sich nicht satt sehen konnte an dem vollkommenen Ebenmaß ihrer Glieder und der holdseligen Anmuth ihres Wesens. Am nächsten Morgen, als sie sich wohl erwärmt und gestärkt fühlte, wollte sie von ihrem guten Wirthe scheiden und weiter wandern. Allein sie war ihm schon so lieb geworden, daß er sie nicht missen konnte, und diesmal bat der Mann mit sanfter Stimme, daß sie bei ihm bleiben und es nicht verschmähen möge, sein liebes Weib zu sein. Da willigte sie ein unter der Bedingung, daß ihr niemals ihr Federkleid zu Gesicht komme, und sie lebten neun Jahre miteinander in Glück und Seligkeit.
Nach Verlauf dieser Zeit rauschte es einst in der Nacht wie Sturmwind über der Hütte und eine Schaar wilder Schwäne ließ sich auf dem Sims des Daches nieder und hub ein Lied zu singen an, so gewaltig, daß Wieland davon aus tiefem Schlaf erwachte. Bekümmert blickte er auf sein junges Weib, denn ihm ahnte nichts Gutes, - sie lag sanft athmend und schlummerde friedlich. Die Schwäne aber sangen:
Schwanweiß! Schwanweiß! Schwester traut!
Schnellsegelnder Lüfte lachende Braut!
Weh'! Wohin? Götter-Maid,
trugen sie dein Flügelkleid,
daß du dienstbar nun auf Erden
mußt dem niedern Manne werden?
Aus gold'ner Burg enteilten wir,
Abtrünnige, zu dir! zu dir!
Ob wir heim dich kürten,
Schwester, zu der Asen Sitz.
All-Vater Odin harret dein,
nicht munden will ihm Asgard's Wein,
seit Trauer zog in Walhall ein
um Schwabeiß, unser Schwesterlein!
Weh'! trüb ist dein leuchtender Helm,
zerbrochen dein flammender Speer;
Walküre bist du nicht mehr!
Wehe! Wehe! Schwestern klagt!
Im fernen Ost der Morgen tagt!
Auf! rüstet euch zum raschen Flug!
Schlachtenloose liesen wir,
weben blutige Wift,
weiden windschnelle Rosse
auf des Sturmes Trift.
Stral aus sichern Händen,
todtbringenden, wir senden,
tragen dann zu Odin's Saal
Auserles'ner Helden Zahl.
Elfweiß.
Auf! Auf! Schwestern auf!
Lasset die Säumende, kindisch hinträumende,
thöricht vergeß'ne, entgötterte Brust,
die da verharret in irdischen Banden,
eigenster Hoheit nicht mehr sich bewußt!
Weh'! taub ist sie uns'rer Klage,
höret nicht der Schwestern Ruf!
Trauer wird in Walhall sein,
um Schwanweiß, unser Schwesterlein!
Wehe! Wehe! Auf! Auf!
Alrune
Seht ihr nicht die Helme blitzen,
Nicht der Speere Flammensprüh'n?
Hört ihr nicht der Rosse Gestampf?
Hei! dort über'm Giallarbogen*)
Kommen die todten Helden gezogen,
zum Kampf! zum Kampf!
Noch war das Lied nicht zu Ende, da litt es Wielandnicht mehr auf seinem Lager. Wie Rabenkrächzen verderbenschwanger schien ihm der Sang der Vögel, ob er gleich seinen Sinnen nicht verstand. Mit einem Satze sprang er zum Waffenschrank und griff nach dem Bogen. In dem Augenblicke erhuben die Schwäne ihre Flügel und flogen rauschend seewärts. Außer sich stürzte Wieland in's Freie, sprang in einen Kahn und setzte den Enteilenden nach. In der Schnelle vergaß er den Schrank zu schließen. Schwanweiß erwacht, sieht sich von ihrem Gatten verlassen und gewahrt an dem Nagel das Federkleid. Da vermag sie nicht zu widerstehen, sie holt es herunter und enteilt als Schwan durch die Lüfte.

Verstimmt und müde kehrt Wieland nach nutzlosem Jagen heim und findet die Hütte leer, das Feuer im Heerde erloschen. Traurig saß er viele Jahre hindurch und harrete der Wiederkehr des heißgeliebten Weibes, ein harmvoller, freudeloser Mann.

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*) Giallarbogen, die Brücke, die nach Walhall führt.

 

Bilder:
  1. Vergrößern  Wesendonck, Mathilde: Natur-Mythen. Zürich 1865. Druck von David Bürkli in Zürich.

Quellen:
  1. Wesendonck, Mathilde: Natur-Mythen. Zürich 1865, S. 101 - 107. 

Links:

Bibliografie:
  • Wesendonck, Mathilde: Natur-Mythen. Zürich 1865. Druck von David Bürkli in Zürich.