04.02.2013

Mathilde Wesendonck † - 1902

Die Musik. II. Jahrgang, 1902Mathilde Wesendonck †


1902

Zeitschriftenaufsatz


Nach dem Ableben von Mathilde Wesendonck publizierte der Wagnerkenner Erich Kloss 1902 einen umfangreichen Nachruf in der Zeitschrift Die Musik. [1]

Die Musik. II. Jahrgang, Heft 1, 1902
Die Musik. II. Jahrgang, Heft 1, 1902.


Illustration von H. Hoffmann - S. 57

Mathilde Wesendonck †

von Erich Kloss - Wilmersdorf

Drei Personen haben im Leben Richard Wagners eine so einschneidende Rolle gespielt, dass wir sagen müssen: wären diese nicht in seine Künstlerlaufbahn eingetreten, so hätte dieses Leben wahrscheinlich irgend eine andere Wendung genommen. Diese drei Personen sind: Franz Liszt, Ludwig II. von Bayern und Cosima von Bülow, geb. Liszt.
Aber in einer Zeit, da Richard Wagner zwei von diesen, König Ludwig und Cosima noch nicht kannte und von dem einen, Franz Liszt, infolge seiner Verbannung räumlich weit getrennt war, also in der Züricher Zeit* (1849 - 59), war noch einer andern Persönlichkeit in seinem Leben eine hochbedeutsame Rolle zugefallen: Mathilde Wesendonck, deren Tod wir jetzt beklagen.
Am 29. August dieses Jahres ist die edle Freundin des Meisters, 74 Jahre alt, auf ihrem Sommersitz am Gmundener See gestorben, nachdem ihr Gatte, der Kaufmann Otto Wesendonck, ihr bereits vor einigen Jahren im Tode vorausgegangen war. In Berlin, früher in Dresden, hatte das Ehepaar in den letzten Jahrzehnten sein prächtig geschmücktes Heim, eine Pflegestätte vornehmen und edlen künstlerischen Verkehrs.
Bekannt ist die Geschichte von Richard Wagners tragischer, zu früh geschlossener Ehe. Minna Planer, seine erste Frau, konnte den genialen Mann in der Alltäglichkeit ihrer Anschauungen und der Begrenztheit ihres Gesichtskreises nicht auf die Dauer befriedigen. Man mag ihr braves Herz, ihre Schlichtheit und Bescheidenheit in den Lebensgewohnheiten, ihr gutes Gemüt loben; Verständnis für des Gatten Kunst, Mitgehen mit seinen Aufgaben, selbst das Hineinleben in seine Wesensart und seine Pläne — all das war ihr versagt. Und sie konnte — und mochte vielleicht es sich auch leider nicht anlernen. Der Wille zur Vertiefung in des Künstlers Eigenwesen fehlte ihr wohl. Freilich: am Prometheusfunken schöpferischer Kraft können sich kalte Geister nicht entzünden.
Mathilde Wesendonck besass diese Fähigkeit, den Flug der Wagnerschen Gedankenwelt mitzufliegen, mitzuleben in dem grossen, ungeheuer weiten und blühenden Reich seiner genialen Phantasie. Traumhaft schien ihr das Eintreten des grossen Mannes in ihr Leben, darum singt sie:
Sagt, welch' wunderbare Träume
Halten meinen Sinn umfangen,
Dass sie nicht wie leere Schäume
Sind in ödes Nichts zergangen?
Träume, die mit jeder Stunde,
Jedem Tage schöner blüh'n
Und mit ihrer Himmelskunde
Selig durch's Gemüte zieh'n —. 
Und sie liess diese Träume „mit jedem Tage schöner blüh'n": wusste sie doch, dass der in steter Sehnsucht nach Verständnis und Liebe sich verzehrende Künstler es ihr tief dankte, und dass sie seine Schaffenskraft in lebendigster Weise anregte. Die „Tristan-Studien", die Kompositionen ihrer innig empfundenen Lieder, das ganze grandiose Tristan-Werk selbst, verdanken sich dieser Zeit. Das Unglück war nur, dass die dem Meister kongeniale und wahlverwandte Frau die Gattin eines andern war.
In Richard Wagners Leben passierte es merkwürdig oft, wenn einem ersehnten Wunsche endlich Erfüllung sich zeigte, dass dann der eigentliche Vollgenuss, der die ganze Fülle der Befriedigung bringen sollte, ausblieb oder gestört wurde. Ich erinnere hier an das Wort externer Link Wikipedia La Bruyères:
Die heftigst ersehnten Dinge treffen nie ein, und wenn sie eintreffen, dann nie zu der Zeit und unter den Umständen, wo sie uns am meisten erfreut hätten."
So starb dem Meister Schnorr von Carolsfeld, so misslang der sichere Pariser Tannhäuser-Erfolg durch äusserliche Treibereien, so ward die eben erblühende Freundschaft mit König Ludwig durch feindliche Mächte in der vollen Entfaltung durch räumliche Trennung behindert.
Konnte es hier anders sein? Auch das so harmonisch begonnene, auf Wagner zuerst so „mild versöhnend" wirkende Züricher Drama musste zunächst als Tragödie enden!
Das stille, ideale Heim in der „Enge" bei Zürich, welches ihm Freundschaft, Liebe und Verehrung bereitet hatten, — nach der kurzen Frist von drei Jahren nötigten ihn der Zwang der Welt und die grausame Härte der rauhen Wirklichkeit, es zu verlassen. Der Heimsüchtige ward wieder heimlos. Für die Nacht-Geweihten musste die Nacht dem Tage weichen, dem öden Tag ... Das Alpenklima wahlverwandtschaftlicher Neigung ist nicht das des „öden Tages" in den Niederungen der Welt. —
Aber die goldene Feder, welche Mathilde Wesendonck dem Freunde geschenkt, durfte ihrer hohen Aufgabe weiter dienen! Als Wagner 1859 Zürich verlassen hatte, schuf er in Venedig offenbar unter dem Eindruck des eben Erlebten, wie auch beeinflusst durch „die melancholische Stille des grossen Kanals", unter den berückenden Wirkungen der Lagunenstadt die Hauptscenen des unvergleichlichen zweiten Aktes von Tristan und Isolde. Nichts stiftet so viel Gutes, wie das Leid.
Unter dem Eindrucke des Todes der Hauptbeteiligten an dem Züricher Drama unterlasse ich heut die Erwähnung von Einzelheiten und psychologische Erörterungen. Festgestellt mag nur sein, dass sich sowohl Richard Wagner wie Otto und Mathilde Wesendonck in einer Weise mit der Lösung des leidvollen Konfliktes abfanden, welche für alle drei unsre höchste Achtung herausfordert. Mathilde Wesendonck musste entsagen, ihr Gatte gab stolz und verzeihend im Angesicht der Grösse Richard Wagners diesem Gelegenheit, Zürich freiwillig zu verlassen. Lassen wir die edle Frau selbst sprechen:
Mit Schmerz und Trauer hat Wagner sein neues Heim in der Enge bei Zürich verlassen, freiwillig verlassen; warum? — müssige Frage; wir haben aus dieser Zeit das Werk ,Tristan und Isolde'; der Rest ist Schweigen und sich neigen in Ehrfurcht.
Freilich vollzog sich das alles nicht so glatt, wie man nach dieser andeutenden Schilderung der Thatsachen vermuten könnte. Frau Minna Wagner, die Kleindenkende unter den Grossherzigen und Hochfühlenden, sorgte dafür, dass der „Skandal" in Zürich möglichst in die Breite wirkte. In späteren Aufsätzen, die „den Zug der Frauen in Richard Wagners Leben" behandeln werden und die in diesen Blättern zum Abdruck kommen sollen, mag es mir gestattet sein, eingehender über diese Dinge zu sprechen, als es hier in einem „Gedenkworte" am eben geschlossenen Grabe möglich ist.
Die Leidenschaftlichkeit der Neigung und die entzweienden Folgen der peinvollen Verwickelungen dieses Dramas sind später einem harmonischen Abschlusse gewichen. Wohl waren die herzliche, gegenseitige Freundschaft aller Beteiligten, die rückhaltslose Verehrung des grossen Künstlers durch die beiden Gatten und endlich der tiefe Herzensdank Wagners für dieses innige Verstehen zu gross, als dass selbst ein so schwerwiegendes Ereignis all diese seltenen Bedingungen zu edelster Harmonie hätten dauernd zerstören können. 1865 schreibt denn auch Wagner an Otto Wesendonck im Hinblick auf die Störung, die sein Leben ihm entfremdet habe, dass er sich selbst nicht wiedererkannt:
Schön, sehr schön, ja erhaben wäre es gewesen, wenn mir dies Schmerzliche erspart worden wäre; aber das Erhabene darf man nicht fordern, und ich hatte Unrecht." —
Einer künstlerischen Individualität wie Wagner war das Verständnis seitens mitfühlender und liebevoller Seelen, der erhebende Zuspruch in Leid und Verzweiflung mehr nötig, als je Einem. Wer verstand ihn damals und glaubte an ihn und seine Kunst? Nur sehr, sehr wenige!
Mathilde Wesendonck hat ihm durch ihr hingebendes Verständnis eine Epoche seines Lebens zu einer tief bedeutungsvollen, künstlerisch fruchtbaren, gestempelt. Gerade die Verehrung durch bedeutende Frauen verhalfen dem Meister zu innerem Glück.
Mit Frauenherzen ist es meiner Kunst immer noch ganz gut gegangen" ... „Es ist immer wieder das ,ewig Weibliche', was mich mit süssen Täuschungen und warmen Schauern der Lebenslust erfüllt. Ein feucht glänzendes Frauenauge durchdringt mich oft wieder mit neuer Hoffnung."
Danken wir es Mathilde Wesendonck, dass sie frei und gross der Neigung ihres edlen Herzens folgte! Wohl wusste sie, was sie damit that, — in jeder Hinsicht, — vor allem darin, dass sie dem Meister eine Zeit seines Lebens als mitfühlende, helfende, sich bewährende Freundin zur Seite stand, die das Feuer seines Genius zu leuchtenden Flammen anfachte. Denken wir daran, dass oft in dem Durchbrechen äusserlicher, vielfach naturwidrig gezogener Schranken jenseits von Gut und Böse das Geheimnis des Gewaltigen, Imposanten liegt, welches den Künstler der Welt erhält, ihn mit neuem Feuer belebt und ihm die Macht verleiht, uns mit immer neuen Gaben seines Genies zu beglücken!

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* Texthervorhebungen im Original gesperrt geschrieben bzw. so nicht. (TS)

Illustration von A.F - S. 59

 

Bilder:
  1. Vergrößern Die Musik. Illustrierte Halbmonatsschrift. Zweiter Jahrgang, erster Quartalsband, Band V 1902/1903. 
  2. Illustration von H. Hoffmann - S. 57.
  3. Illustration von A.F - S. 59.  

Quellen:
  1. externer Link Archive.org 

Links:
 
Bibliografie:
  • Kloss, Erich: Mathilde Wesendonck †. In: Schuster, Bernhard, Kapellmeister (Hrsg.): Die Musik. Illustrierte Halbmonatsschrift. Zweiter Jahrgang, erster Quartalsband, Band V 1902/1903, Heft 1. Schuster & Loeffler, Berlin und Leipzig 1902, S. 57 - 59. 


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