26.06.2010

Brief 6. Juli 1858

Wolfgang Golther: Richard Wagner an Mathilde Wesendonk. Tagebuchblätter und Briefe. 1853 - 1871. Alexander Duncker, Berlin 1904Brief vom 6. Juli 1858


Richard Wagner an Mathilde Wesendonck


Ein Brief von Richard Wagner an Mathilde Wesendonck aus dem Jahre 1858.


Asyl, 6. Juli 1858, Dienstag früh

Gewiß erwartest Du nicht, daß ich Deinen wunderschönen, herrlichen Brief unbeantwortet lasse? Oder sollte ich für das edelste Wort das schöne Recht der Erwiderung mir versagen müssen? Wie aber könnte ich Dir erwidern, als Deiner würdig?
Die ungeheuren Kämpfe, die wir bestanden, wie könnten sie enden, als mit dem Siege über jedes Wünschen und Begehren?
Wußten wir nicht in den wärmsten Augenblicken der Annäherung, daß dies unser Ziel sei?
Gewiß! Nur weil es so unerhört und schwierig, war es eben nur nach den härtesten Kämpfen zu erreichen. Haben wir nun aber nicht alle Kämpfe ausgekämpft? Oder welche könnten uns noch bevorstehen? - Wahrlich, ich fühle es tief: sie sind zu Ende!
Als ich vor einem Monate Deinem Manne meinen Entschluß kundgab, den persönlichen Umgang mit Euch abzubrechen, hatte ich Dir - entsagt. Doch war ich hierin noch nicht ganz rein. Ich fühlte eben nur, daß nur eine vollständige Trennung, oder - eine vollständige Vereinigung unsre Liebe vor den schrecklichen Berührungen sichern konnte, denen wir sie in den letzten Zeiten ausgesetzt gesehen hatten. Somit stand dem Gefühle von der Notwendigkeit unsrer Trennung die - wenn auch nicht gewollte - aber gedachte Möglichkeit einer Vereinigung gegenüber. Hierin lag noch eine krampfhafte Spannung, die wir beide nicht ertragen konnten. Ich trat zu Dir, und klar und bestimmt stand es vor uns, daß jene andre Möglichkeit einen Frevel enthalte, der selbst nicht gedacht werden durfte.
Hierdurch erhielt aber die Notwendigkeit unsrer Entsagung von selbst einen anderen Charakter: der Krampf wich einer mild versöhnenden Lösung. Der letzte Egoismus schwand aus meinem Herzen, und mein Entschluß, Euch wieder zu besuchen, war jetzt der Sieg der reinsten Menschlichkeit über die letzte Regung eigensüchtigen Sehnens. Ich wollte nur noch versöhnen, lindern, trösten - erheitern, und somit auch mir das einzige Glück zuführen, das mir noch bereitet sein kann.
So tief und schrecklich, wie in den vergangenen letzten Monaten, habe ich nie zuvor in meinem Leben empfunden. Alle früheren Eindrücke waren inhaltlos gegen diese letzten. Erschütterungen, wie ich sie bei jener Katastrophe erlitt, mußten mir tiefe Spuren eingraben; und konnte etwas noch den großen Ernst meiner Stimmung steigern, so war es der Zustand meiner Frau. Während zwei Monaten sah ich jeden Tag der Möglichkeit der Nachricht von ihrem plötzlichen Tode entgegen; denn diese Möglichkeit hatte mir der Arzt andeuten müssen. Alles um mich atmete Todesduft; all mein Vorwärts- und Rückwärtsblicken traf auf Todesvorstellungen, und das Leben - als solches - verlor für mich seinen letzten Reiz. Zur äußersten Schonung gegen die Unglückliche angehalten, mußte ich dennoch den Entschluß zur Zerstörung unsres soeben erst gegründeten letzten häuslichen Herdes fassen, und, zu ihrer größten Bestürzung, ihr diesen endlich mitteilen.
Mit welchem Gefühle glaubst Du wohl, daß ich in dieser schönen Sommerzeit dieses reizende, so ganz und einzig meinen Wünschen und einstigen Bestrebungen entsprechende Asyl mir überblickte, wenn ich am Morgen das liebe Gärtchen durchwanderte, dem gedeihenden Blumenflor zusah und die Grasemücke belauschte, die sich im Rosenbäumchen ihr Nest gebaut hatte? Und was dieses Losreißen vom letzten Anker für mich hieß, das sage Dir selbst, die Du meinen Sinn so innig kennst, wie keines!
Floh ich schon einst vor der Welt, wähnst Du, ich könnte nun wieder in sie zurückkehren? Jetzt, wo alles bis zum äußersten zart und empfindlich in mir geworden ist durch die immer längere Entwöhnung von aller Berührung mit ihr? Noch meine letzte Begegnung mit dem Großherzog von Weimar zeigt mir deutlicher als je, daß ich nur noch in der allerbestimmtesten Unabhängigkeit gedeihen kann, so daß ich jede Möglichkeit irgendeiner einzugehenden Verpflichtung, selbst gegen diesen wirklich nicht unliebenswürdigen Fürsten, innerlichst von mir abweisen mußte. Ich kann - kann der Welt mich nicht wieder zuwenden; in einer großen Stadt dauernd mich niederlassen, ist mir undenkbar; und - soll ich dagegen wieder an die Gründung eines neuen Asyles, eines neuen Herdes denken, nachdem ich diesen, kaum genossen, hinter mir zertrümmern mußte, den Freundschaft und edelste Liebe in diesem reizenden Paradiese mir gründeten? O nein! - Von hier fortgehen, ist gleichbedeutend für mich mit - untergehen!
Ich kann nun, mit diesen Wunden im Herzen, mir keine Heimat wieder zu gründen versuchen!
Mein Kind, ich kann mir nur noch ein Heil denken, und dies kann nur aus der innersten Tiefe des Herzens, nicht aber aus irgendeiner äußeren Veranstaltung kommen. Es heißt: Ruhe! Ruhe der Sehnsucht! Stillung jedem Begehren! Edle, würdige Überwindung! Leben für andre, für andre - zum Troste für uns selbst!
Du kennst jetzt die ganze ernste, entscheidende Stimmung meiner Seele; sie bezieht sich auf meine ganze Lebensanschauung, auf alle Zukunft, auf alles, was mir nahesteht, - und so auch auf Dich, die Du mir das Teuerste bist! Laß mich nun noch auf den Trümmern dieser Welt des Sehnens - Dich beglücken!
Sieh, nie in meinem Leben, in irgendeinem Verhältnisse war ich je aufdringlich, sondern stets von fast übertriebener Empfindlichkeit. Nun will ich denn Dir zum ersten Male aufdringlich erscheinen und bitte Dich, über mich recht innerlich ruhig zu sein. Ich werde Euch nicht oft besuchen, denn Ihr sollt mich fortan nur noch sehen, wenn ich sicher bin, Euch ein heitres, ruhiges Gesicht zu zeigen. - Sonst suchte ich wohl im Leiden und Sehnen Dein Haus auf: dorthin, von wo ich mir Trost holen wollte, brachte ich Unruhe und Leiden. Das soll nicht mehr sein. Siehst Du mich daher längere Zeit nicht mehr, so - bete für mich im stillen! - Denn dann, wisse, daß ich leide! Komme ich aber dann, so sei sicher, daß ich Euch eine holde Gabe meines Wesens ins Haus bringe, eine Gabe, wie es vielleicht nur mir verliehen ist zu spenden, mir, der so viel und willig litt.
Wahrscheinlich, ja - gewiß, tritt nun auch nächstens, ich vermute schon Anfang Winters, die Zeit ein, wo ich für länger mich ganz von Zürich entferne; meine nun bald erwartete Amnestie wird mir Deutschland wieder erschließen, wohin ich periodisch zurückkehre, um das einzige mir zu ersetzen, was ich hier mir nicht bereiten konnte. Dann werde ich Euch oft lange nicht mehr sehen. Aber dann wieder in das nun mir so traut gewordene Asyl zurückkehren, um mich auszuruhen von Plage und unvermeidlichem Ärger, reine Luft zu atmen, und neue Lust zum alten Werke zu fassen, für das mich nun einmal die Natur auserwählt hat, - dies wird dann immer, wenn Ihr es mir vergönnt, der sanfte Lichtblick sein, der dort mich aufrechterhält, der süße Trost, der hier mir winkt.
Und - hättest Du dann mir keine höchste Lebenswohltat erwiesen? Ich dankte Dir nicht das einzige, das auf dieser Erde mir noch dankenswert erscheinen kann? Und ich sollte nicht zu lohnen suchen, was Du mit so unsäglichen Opfern und Leiden mir errungen?
Mein Kind, die letzten Monate haben mir an den Schläfen das Haar merklich gebleicht; es ist eine Stimme in mir, die mit Sehnsucht mir nach Ruhe ruft, - nach der Ruhe, die ich vor langen Jahren schon meinen "Fliegenden Holländer" sich ersehnen ließ. Es war die Sehnsucht nach - "der Heimat" -, nicht nach üppigem Liebesgenuß! Ein treues, herrliches Weib nur konnte ihm diese Heimat erringen. Laß uns diesem schönen Tode weihen, der all unser Sehnen und Begehren birgt und stillt! Laß uns seelig dahinsterben, mit ruhig verklärtem Blick und dem heiligen Lächeln schöner Überwindung! Und - keiner soll dann verlieren, wenn wir - - siegen!
Leb' wohl, mein lieber heiliger Engel!


Bilder:
  1. Golther, Wolfgang (Hrsg.): Richard Wagner an Mathilde Wesendonk. Tagebuchblätter und Briefe. 1853 - 1871. Berlin 1904.

Quellen:
  1. Golther, Wolfgang (Hrsg.): Brief 7. In: Richard Wagner an Mathilde Wesendonk. Tagebuchblätter und Briefe. 1853 - 1871. Verlag von Alexander Duncker, Berlin 1904, S. 349 ff.  

Links:

Bibliografie:
  • Golther, Wolfgang (Hrsg.): Richard Wagner an Mathilde Wesendonk. Tagebuchblätter und Briefe. 1853 - 1871. Verlag von Alexander Duncker, Berlin 1904.  


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