14.02.2013

Der Zwieback von Mathilde

Bernstein, F. W.: Richard Wagners Fahrt ins Glück. Sein Leben in Bildern und VersenDer Zwieback von Mathilde


⌂ 2002

Gedicht


Ein Gedicht von externer Wiki-Link F. W. Bernstein über Mathilde Wesendonck und Richard Wagner sowie ihre Züricher Zeit. Zwieback und der Brief vom 09.05.1859 sind der Aufhänger.


Zufälle gibt es – durch einen bin ich auf das kleine interessante Buch aus dem Berliner Alexander Fest Verlag aus dem Jahre 2002 gestoßen – Richard Wagners Fahrt ins Glück von F. W. Bernstein geschrieben und gezeichnet. Der Autor war u. a. Professor für Karikatur und Bildgeschichte an der Hochschule der Künste in Berlin tätig. Seine Grafiken und lyrischen Werke werden der Neuen Frankfurter Schule zugerechnet. Erfrischend und frech ist hier sein Blick auf die Beziehung Wagner – Wesendonck.

Bernstein, F. W.: Der Zwieback von Mathilde. Ein langsamer Zürcher Walzer. In: Bernstein, F. W.: Richard Wagners Fahrt ins Glück. Sein Leben in Bildern und Versen
Bernstein, F. W.: Der Zwieback von Mathilde. Ein langsamer Zürcher Walzer.
In: Bernstein, F. W.: Richard Wagners Fahrt ins Glück. Sein Leben in Bildern und Versen. [1]

 

Zürcher Zustände
Schließlich landete Wagner wieder in Zürich. Bei Minna – wo sonst? Zu seinen Freunden, Verehrern und Rettern gehört dort das wohlhabende Ehepaar Otto und Mathilde wesendonk. Mathilde ging an Wagners Seite in die Musikgeschichte ein. Und welche Rolle spielte in dieser Affäre ihr Zwieback?

Der Zwieback von Mathilde
(Ein langsamer Zürcher Walzer)
Kind! Kind! Der Zwieback hat geholfen; er hat mich mit einem Ruck über eine böse Stelle hinweggebracht … Got, was der richtige Zwieback nicht alles kann! Zwieback! Zwieback! Du bist die richtige Arzenei für verstockte Komponisten …
Wagner am 9. Mai 1859 an Mathilde Wesendonk; er arbeitet an der Musik zu ›Tristan und Isolde

Mathilde löscht die Lichter aus
in ziemlicher Züricher Nacht.
Bei Wagner bricht der ›Tristan‹ aus
in aller chromatischer Pracht.

Ein Backwerk – der Zwieback – siehe Zitat,
worin sich der ›Tristan‹ verbirgt,
das Frau Mathilde geliefert hat,
hat wahre Wunder gewirkt.

Mathilde, wenn Sie zu Wagner gehen –
Frau Minna schöpft schon Verdacht –,
haben Sie für sein Wohlergehn
an den Zwieback gedacht?

Sie gehen zu Wagner? Mathilde, hör zu:
Vergiß den Zwieback nicht!
Verzeihung, Frau Wesendonk – einmal nur »Du«,
wie schön, wenn das Herz dabei bricht!

Der Zwieback, Mathilde, mehr als Ihr Kuß,
wirkt Wunder, mit Allgewalt.
Er bringt die stockenden Töne in Fluß:
Freuet euch – ›Tristan‹ kommt bald.

»Hochbeglückt und schmerzentrückt«
schenkt er Ihnen ›Tristans‹ Text.
Die Musik macht später alle verrückt;
Sie haben mit Zwieback gehext!

Nach Dresden sechs Jahre lang keinen Ton!
Nur Aufsätze, Textbücher wie
›Das Kunstwerk der Zukunft‹, ›Die Revolution‹,
›Eine Mitteilung an meine Freunde‹,
›Oper und Drama‹, ›Wieland der Schmied‹ –
und endlich, Madame, für Sie

Gelegenheitswerke, und zwar für Klavier,
eine Sonate, und dann
Albumblätter, fünf Lieder – und hier
kündigt der ›Tristan‹ sich an.

Wagner an Liszt: ein Brief! Er schrie,
weshalb er den ›Tristan‹ schrieb:
»Da ich nun aber … im Leben nie
das eigentliche Glück der Liebe genossen habe«,
drum hat Isolde den Tristan so lieb.

»Wer Licht und Wärme suchen muß«,
schreibt Wagner, »ist traurig dran.«
Von wegen üppiger Liebesgenuß!
Er ist doch der »Dämmermann«.

Er nannte sich nämlich den »Dämmermann«;
er spielt' auf Mathildes Klavier.
Er kam in der Dämmerung bei ihr an,
im Winter so gegen vier.

Eine goldene Feder: »Die ist für dich« –
er schreibt damit manch' Manuskript;
und er weiß bei jedem Federstrich,
daß es, Mathilde, Sie gibt.

Er las aus dem Textbuch oft vor; und da,
da saßen sie alle: ganz vorn
Minna, Mathilde und Cosima –
Wagner wird wiedergeborn.

Zwei Liebende singen und sterben heilfroh –
»Tristan! Geliebter!« – »Wie, hör' ich das Licht?«
Musik, sie lodert so lichterloh:
»Fühlt und seht ihr's nicht?«

Die Liebe, die Liebe als Hausmannskost,
die reicht euch nicht hin und nicht her;
»leuchtende Liebe, lachender Tod«
ist mehr als Geschlechterverkehr.

Die Überwindung der Sinnlichkeit,
die Liebe als geistiger Akt,
das Sehnen nach einem reineren Sein –
Zwieback im Walzertackt!

Die Wesendonks – ein wohlhabendes Paar:
Otto, ganz Güte und Geld;
Mathilde, die Mitte Zwanzig war,
ist's, die dem Wagner gefällt.

Er hat sich bewährt, hat selten gemurrt:
Otto, als gatte erprobt,
bezahlt Richard Wagners Wiedergeburt –
er sei bedankt und gelobt.

Es bauen auf grünem Hügel ihr Haus
die Wesendonks – und nebenan
ziehn Wagners ein – und ziehn wieder aus:
Man hatte sich weh getan.

Wagner, als er noch dort gewohnt,
im Häuschen überm See,
hat Mathildes Gedichte vertont,
voll Engel und Träumen und Weh.

Mathilde, komm, laß uns zwiebacken gehen,
schön in Musik und per Brief;
laß in seligem Reigen uns drehn –
der Haussegen hängt schon so schief.

»Sie hatte mich einst, und sie kannte mich«,
schreibt er nach dem Liebesverlust.
Mathilde, war'n Sie zu zimperlich?
Wagner, paß auf, was du tust!

Minna war's, die hatt' es vergackt!
Berechtigte Eifersucht?
Schluß jetzt mit Zwieback und Walzertackt,
jetzt wird auch der reinsten Liebe entsagt –
Wagner, man rät dir zur Flucht!

Daß Minna sich trennte – hab' ich's erzählt?
So war alle beide er los.
Die, die ihn liebt, die, die ihn gequält.
Was macht der Alte jetzt bloß?

Er fuhr paar Jahr' durch die Weltgeschicht';
Erfolge, Schulden – ach Gott!
Erlöst' ihn ein leibhaft'ger König nicht –
er wär auf der Alb und bankrott.

Die Stelle des Seelenbräutigams,
erfuhr er, als alles vorbei,
sei jetzt besetzt mit Johannes Brahms.
Das war ihm einerlei. [1]

 

Bilder:
  1. Vergrößern Bernstein, F. W.: Richard Wagners Fahrt ins Glück. Sein Leben in Bildern und Versen. Alexander Fest Verlag, Berlin 2002.
  2. Ebenda: S. 107. 

Quellen:
  1. Bernstein, F. W. (Fritz Weigle): Der Zwieback von Mathilde. Ein langsamer Zürcher Walzer. In: Bernstein, F. W.: Richard Wagners Fahrt ins Glück. Sein Leben in Bildern und Versen. Alexander Fest Verlag, Berlin 2002, S. 107 - 111.
    (Mit freundlicher Genehmigung von Fritz Weigle (F. W. Bernstein) und seinem Sohn Konrad Weigle.)

Links:

Bibliografie:
  • Bernstein, F. W.: Richard Wagners Fahrt ins Glück. Sein Leben in Bildern und Versen. Alexander Fest Verlag, Berlin 2002.   


07.02.2013

Mathilde Wesendonck - 1939

Deutsche Frauen. Bildnisse und Lebensbeschreibungen. Eingeleitet von Ina Seidel. Verlag Ernst Steiniger, Berlin 1939Mathilde Wesendonck


1939

Würdigung der Person


In dem Buch Deutsche Frauen. Bildnisse und Lebensbeschreibungen aus dem Jahre 1939 wird durch den Musikwissenschaftler und -kritiker Dr. externer Link Wikipedia Karl Holl: (* 1892 - † 1975) aus Frankfurt a. Main sein Beitrag Mathilde Wesendonck publiziert. [1]

Deutsche Frauen. Bildnisse und Lebensbeschreibungen. Eingeleitet von Ina Seidel. Verlag Ernst Steiniger, Berlin 1939
Deutsche Frauen. Bildnisse und Lebensbeschreibungen.
Eingeleitet von Ina Seidel. Verlag Ernst Steiniger, Berlin 1939
.


Deutsche Frauen. Bildnisse und Lebensbeschreibungen. Eingeleitet von Ina Seidel. Verlag Ernst Steiniger, Berlin 1939, S. 204
Deutsche Frauen. Bildnisse und Lebensbeschreibungen.
Eingeleitet von Ina Seidel. Verlag Ernst Steiniger, Berlin 1939
, S. 204. (2)


Mathilde Wesendonck

„...Ein holdes Weib, schüchtern und zagend, warf mutig sich in das Meer der Schmerzen und Leiden, um mir diesen herrlichen Augenblick zu schaffen, mir zu sagen: Ich liebe Dich!“...
...„sie ist und bleibt meine erste und einzige Liebe! ... Es war der Höhepunkt meines Lebens: die bangen, schön beklommenen Jahre, die ich in dem wachsenden Zauber ihrer Nähe, ihrer Neigung verlebte, enthalten alle Süße meines Lebens“...
...„Da zwischen uns nie von einer Vereinigung die Rede sein konnte, gewann unsere tiefe Neigung den traurigen wehmütigen Charakter, der alles Gemeine und Niedere fern hält und nur in dem Wohlergehen des Andren den Quell der Freude erkennt“...
...„Mir ist dabei recht wohl bewußt, daß ich nie etwas Neues mehr erfinden werde: jene eine höchste Blütezeit hat in mir eine solche Fülle von Keimen getrieben, daß ich jetzt nur immer in meiner Kunst in meinen Vorrat zurückzugreifen habe, um mit leichter Pflege mir die Blume zu erschließen“... [*]
Was wüßten wir noch von Mathilde Wesendonck, wäre ihr nicht bestimmt gewesen, auf solche Art in das Schicksal Richard Wagners einzugreifen, hätte nicht diese Fügung im Schaffen dieser schier übermenschlichen Künstlerpersönlichkeit eine so tiefe und segensreiche Spur hinterlassen?

*

Mathilde Luckemeyer ist im Jahre 1828 als Tochter eines Kommerzienrates in Elberfeld geboren. Im zwanzigsten Lebensjahre verheiratete sie sich in Düsseldorf mit dem dreizehn Jahre älteren Otto Wesendonck, dem deutschen Teilhaber eines großen New Yorker Seidenhauses. Von 1851 bis 1872 wohnte sie mit ihrem Gatten, dem sie bis 1862 fünf Kinder gebar, in Zürich, dann rund zehn Jahre lang in Dresden. Die letzten zwanzig Jahre ihres Lebens verbrachte sie teils in Berlin, teils auf ihrem Landhause am Traunsee. Dort ist sie im Jahre 1902, sechs Jahre nach dem Tode Otto Wesendoncks, gestorben. Seit ihrem vierzigsten Lebensjahre ist diese Tochter und Gattin eines Großkaufmanns mit Dramen, mit Märchen- und Puppenspielen, mit Märchenerzählungen und auch mit einem Kinderbuch an die Öffentlichkeit getreten. Sie war auf jeden Fall innerhalb ihrer Gesellschaftsschicht eine ungewöhnliche Frau, mehr als durchschnittlich begabt und gebildet. Aber ihr Nachruhm, ja sogar ihre bescheidene Wirkung als Schriftstellerin zu ihren Lebzeiten ruht auf anderen Grundlagen. Sagen wir es nun klar und deutlich: sie ist in den Züricher Jahren, von 1853 bis 1858, die geistige Gefährtin, die wahre Freundin und die „Muse“ des Mannes gewesen, der damals den „Ring des Nibelungen“ bis zur Mitte des „Siegfried“ gefördert, den „Tristan“ gedichtet und musikalisch entworfen, den „Parsifal“ im Keime empfangen hat.

*

Ohne Wagners Begegnung mit Mathilde Wesendonck, ohne den tragischen Charakter und Ausgang dieser Herzensfreundschaft zweier Menschen, die beide an das Schicksal anderer gebunden waren, wäre das klingende Drama von „Tristan und Isolde“ wohl nie geboren worden. Ohne Mathildens Rückwendung zu ihrem Gatten, ohne den dadurch erzwungenen endgültigen Verzicht Wagners auf ein zwar nie klar geplantes, aber heiß ersehntes Zusammenleben mit ihr und ohne ihren weiteren, noch lange fortdauernden Einfluß auf sein weiches, auch für das Ewig-Weibliche besonders empfängliches Gemüt hätte er wohl kaum den alten Entwurf der „Meistersinger“ wieder hervorgeholt und nach dem „Liebestod“, mit dem das Drama „des tönenden Schweigens“ ausklang, seiner schöpferischen Kraft jenes wissende Lächeln und jenen tröstenden Optimismus abgewonnen, die uns aus dem tief bedeutsamen Spiel um Hans Sachs so sonnig wärmend anstrahlen. „Weißt Du, wie das ward?[*] - Wir wissen es, aber können es erfahren aus jenen Tagebuchblättern und Briefen des „Meisters“, die Frau Wesendonck selbst empfangen und aufbewahrt hat; aus jenen ergreifenden, weit über die persönliche Aussage hinaus aufschlußreichen Dokumenten, die später von Mathildens zweitem Sohn [Karl Wesendonck] und von ihrem Enkel [Friedrich Wilhelm von Bissing] der Öffentlichkeit übergeben wurden. Diese Selbstbekenntnisse, dazu als Ergänzung die inzwischen noch vereinzelt an den Tag gekommenen „Urkunden“ aus dem Züricher Umkreis und aus dem Briefwechsel von Wagners angetrauter Frau Minna, geborenen Planer, erzählen uns bis ins kleinste den inneren wie den äußeren Verlauf der Tragödie, die dank den seltenen Eigenschaften der zwei Hauptpersonen in ein „Preislied“ auf die „Muse des Parnaß“ ausklingen konnte.
Als die Lebenswege dieses genialen Mannes und dieser ungewöhnlichen Frau einander kreuzten, war Mathilde Wesendonck einunddreißig Jahre und Richard Wagner vierzig Jahre alt. Zur Seite Wagners: eine früh gealterte Frau, die ihn im bürgerlichen Sinne gut umsorgte, aber trotz bester Absicht dem Höhenflug seines Herzens und seines Geistes nicht folgen konnte. An der Seite Mathildens: ein Mann von vornehm-gütigem Charakter, der auch geistige Interessen hatte, aber von seinen Geschäften in Anspruch genommen war und die tiefsten seelischen Wünsche seiner anmutigen, trotz ihrer Mutterschaft offenbar noch recht mädchenhaft gebliebenen Frau nicht zu erfüllen vermochte. Das Ehepaar Wagner wurde ins prächtige, kultivierte Haus des Ehepaars Wesendonck gezogen. Holländer-Wagner glaubte in Mathilde seine „Senta“, den ihm bestimmten „Engel“ zu finden. Schon über das Vorspiel zu „Walküre“ (1854) schrieb Wagner: G (esegnet) S (sei) M (Mathilde); die Handschrift der „Faust“-Ouvertüre, die er ihr schenkte, trägt den Vermerk: zum Andenken S(einer) l(ieben) F(rau). Wagner führte Mathilde, des „Kind“, in die Welt der Musik, der Dichtung und der Philosophie, insbesondere der Philosophie Schopenhauers, ein. Sie hörte ihm so zu, wie „Brünnhilde dem Wotan zuhört“. Aus geistiger Bewunderung und Zuneigung wuchs unversehens eine tiefe Liebe zwischen Mann und Weib. Es kennzeichnet Mathilde, daß sie eingedenk der übernommenen Pflichten ihre Gefühle gegenüber Wagner zügelte und andererseits diese Empfindungen ihrem Gatten nicht verhehlte. Es kennzeichnet Otto Wesendonck, daß er seine Eifersucht bezwang und dem bewunderten Genius in einem kleinen Hause neben der herrschaftlichen Villa auf dem „grünen Hügel“ ein „Asyl“ auf Lebenszeit sichern wollte. Doch die Katastrophe ließ sich nicht abwenden. „Tristan“ und „Isolde“ fielen dem „Tag“ zum Opfer. Obwohl sie rechtzeitig erkannten, daß sie nur im Geiste des Mit-Leidens einander angehören durften, wurden sie durch die dämonischen Mächte: Klatsch, Mißtrauen und Eifersucht - der Eifersucht Minnas, Ottos und auch Mathildens - gezwungen, auseinanderzugehen.

*

Nach der Flucht aus dem Züricher Asyl hat Wagner in Venedig den „Tristan“ vollendet. Auf der Fahrt gen Süden begleiteten ihn die „Fünf Gedichte“ von Mathilde Wesendonck, die er in jener Hoch-Zeit seines Lebens vertont hat. In dem Lied „Stehe still!“ glänzt in Tönen Tristans „Liebesblick“ auf. Aus dem Liede „Träume“ wuchs der Liebesgesang des zweiten Tristan-Aktes, aus dem Liede „Im Treibhaus“ die Todessehnsucht des dritten Aktes. In dem Liede „Der Engel“ ist die ganze Erscheinung der Freundin „sehr zart und weich“ versinnbildlicht; jene Lichtgestalt, die der liebende Wagner einmal mit einem „lang gehaltenen weichen Geigenton“ verglich. Es hat Jahre gedauert, bis Wagner den Traum „Mathilde“ begrub. Erst als Frau Wesendonck im Jahre 1862 noch einmal Mutter [Hans] wurde, zerriß das „Wahngebilde“. Zurück blieb Freundschaft, Sorge um das wechselseitige Wohlergehen auch in den kleinen Dingen des Lebens. Mathilde opferte ihr tiefes Gefühl für Wagner ihren Pflichten gegenüber der Familie. Wagner erkannte immer mehr, daß seine Leiden nur die Mittel eines höheren Zweckes waren. Als Mitleidender kehrte er noch kurze Zeit zu der kranken Minna zurück, ließ er auch die Beziehungen zu Mathilde und Otto Wesendonck nicht abreißen. Aber sein Genius führte ihn bald andere Pfade. Auf der Höhe innerer und äußerer Not fand der „Meister“ den königlichen Mäzen und die starke, rücksichtslos entschlossene Gefährtin, die er brauchte, um das Ziel Bayreuth zu erreichen: Cosima.

*

War Mathilde Wesendonck etwa so beschaffen, wie Minna Wagner sie sehen wollte und sehen mußte? War sie vielleicht wirklich eine „kalte“ Frau, die es vorzog, die Gattin eines reichen Kaufmanns zu bleiben, und es verschmähte, die Gefährtin eines armen Künstlers zu werden? Dem widersprechen alle Äußerungen der weniger befangenen und weit urteilsfähigeren Zeugen, die an der Idealität und Feinfühligkeit ihres Wesens keinen Zweifel lassen. Dem widerspricht auch die nackte Tatsache des tiefen Gefühls, das sie in einem Menschen wie Wagner erregt und über die stärksten Belastungsproben hinweg wach gehalten hat. War Wagners eigene Bitterkeit berechtigt, als er, drei Jahre nach der Trennung, an Mathilde schrieb, es sei ihm ein Trost, sie mit Neigungen ausgestattet und in einer bürgerlichen Lage zu wissen, die ihren Leiden einen idyllischen, sanften Charakter ermöglichten? Sicher war Mathilde Wesendonck ihrem Wesen, ihrer Herkunft und Erziehung nach keine Frau, die den letzten, steilen Anstieg Wagners mit dem seltenen Freimut und der ungeheuren Energie des Fühlens und Wollens hätte stützen können, wie es Cosima vergönnt war. Aber ebenso sicher war sie nicht kalt und berechnend und hat den Verzicht auf Erfüllung ihrer Wünsche unter Schmerzen erkämpft. Die edelsten Kräfte und Züge ihrer Natur wie die edelsten seelischen Wirkungen ihres Erlebens mit Wagner sind in dessen reifsten Werke eingegangen, vom „Tristan“ bis zum „Parsifal“, und dadurch über ihr Grab hinaus lebendig geblieben. In die leuchtende Glorie Richard Wagners ist auch der milde Schein ihres Wesens eingewoben.

Karl Holl

Mathilde Wesendonck, geb. am 23. Dezember 1828, gest. am 31. August 1902

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[] Anm. von TS. 
* Hervorhebungen und Illustrationen durch TS.    

Bildnis Mathilde Wesendoncks aus der Züricher Zeit
Bildnis Mathilde Wesendoncks aus der Züricher Zeit.
Gemälde von C. L. Dörner, R. Bory, Coppet. (3)

 

Bilder:
  1. Vergrößern Vergrößern Seidel, Ina (Hrsg.): Deutsche Frauen. Bildnisse und Lebensbeschreibungen. Verlag Ernst Steiniger, Berlin 1939. 
  2. Ebenda. S. 204. 
  3. Ebenda. S. 208+.
    Dorner, Johann Conrad: Mathilde Wesendonck. ÖLw, 1860.  

Quellen:
  1. externer Link Wikipedia Holl, Karl: Mathilde Wesendonck. In: externer Link Wikipedia Seidel, Ina (* 1885 - † 1974) (Hrsg.): Deutsche Frauen. Bildnisse und Lebensbeschreibungen. Eingeleitet von Ina Seidel. Verlag Ernst Steiniger, Berlin 1939, S. 204 - 207. 

Bibliografie:
  • Holl, Karl: Mathilde Wesendonck. In: Seidel, Ina (Hrsg.): Deutsche Frauen. Bildnisse und Lebensbeschreibungen. Eingeleitet von Ina Seidel. Verlag Ernst Steiniger, Berlin 1939, S. 204 - 207. 


Unbekannte Briefe an Rappoldi

Die Musik. XXVIII. Jahrgang, 1936Unbekannte Briefe von Wesendonck an Rappoldi


1936

Zeitschriftenartikel


In der Rubrik Zeitgeschichte im Heft 7 des XXVIII. Jahrganges (1936) der Monatsschrift Die Musik erschien ein Artikel über den Fund unbekannter Briefe von Wesendoncks an die Pianistin externer Link Laura Rappoldi, geb. Kahrer (* 1853, Mistelbach, Österreich - † 1925, Dresden) und den Violinisten und Komponisten externer Link Eduard Rappoldi (* 1831, Wien - † 1903, Dresden) während ihrer Dresdner Zeit durch den Musikkritiker externer Wiki-Link Felix von Lepel (* 1899, Dresden - † 1979, Berlin). [1]


Artikel S. 558 im Heft 7, XXVIII. Jahrgang 1936
Artikel in: Die Musik. XXVIII. Jahrgang, Heft 7, April 1936, S. 558.

Zeitgeschichte

Im Nachlaß der einstmals hochberühmten und gefeierten Pianistin Laura Rappoldi-Kahrer, die mit Wagner, Chopin, Liszt, Bülow und allen anderen musikalischen Größen ihrer Zeit in Berührung gekommen und vor etwa zehn Jahren in Dresden gestorben ist, entdeckte Felix von Lepel sieben bisher unbekannte Briefe, die Mathilde Wesendonck*, die große Freundin und Verehrerin Richard Wagners, teils an den Geiger Rappoldi, teils an dessen Gattin, die Pianistin Laura Rappoldi, in den Jahren 1880 bis 1883 gerichtet hat. Der Nachlaß wird von der in Dresden lebenden Tochter Laura Rappoldis betreut. Der letzte der sieben Briefe ist kurz nach Wagners Tod (1883) geschrieben. Die Briefe handeln u. a. von den Quartettabenden und Matineen, welche Rappoldi, externer Link Grützmacher [(* 1832, Dessau - † 1903, Dresden)]"** und einige andere Musiker jener Zeit im kunstliebenden Hause von Mathilde Wesendonk veranstalteten.

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*  Texthervorhebungen so nicht im Original. (TS)
** Anm. Autor.
 
 

Bilder:
  1. Vergrößern Die Musik. Monatsschrift, Amtliches Organ der NS-Kulturgemeinde, Amtliches Mitteilungsblatt der Berliner Konzertgemeinde. XXVIII. Jahrgang.

Quellen:
  1. externer Link Archive.org 

Links:

Bibliografie:
  • Lepel, Felix von: Unbekannte Briefe von Wesendonck an Rappoldi. In: Die Musik. Monatsschrift, Amtliches Organ der NS-Kulturgemeinde, Amtliches Mitteilungsblatt der Berliner Konzertgemeinde (Konzertring der NS-Kulturgemeinde). XXVIII. Jahrgang, Heft 7, April 1936. Max Hesses Verlag, Berlin 1936, S. 558. 


Eine Erinnerung an Mathilde Wesendonck

Zeitschrift für Musik. 101. Jahrgang, 1934Eine Erinnerung an Mathilde Wesendonck


1934

Zeitschriftenaufsatz


Ein Aufsatz von Otto Richter aus dem Jahre 1934, der in der Zeitschrift für Musik veröffentlicht wurde und seine Dresdner Erinnerungen an Mathilde Wesendonck zum Inhalt hat. [1]


In der Sächsische Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden (SLUB) befindet sich das Manuskript zu diesem Aufsatz von Otto Richter. [2]

Otto Richter: Eine Erinnerung an Mathilde Wesendonck. 1933
Briefumschlag zum Manuskript Eine Erinnerung an Mathilde Wesendonk, um 1933.

 

Zeitschrift für Musik. 101. Jahrgang, Heft 5, Mai 1934
Zeitschrift für Musik. 101. Jahrgang, Heft 5, Mai 1934.

Eine Erinnerung an Mathilde Wesendonck.

Von Otto Richter, Dresden.

Im Winter 1881/82 habe ich einmal einen unvergeßlichen Nachmittag und Abend im Dresdner Heim der Wesendoncks* verlebt. Heinrich Schulz-Beuthen, der Franz Liszt nahestehende Dresdner Tondichter (er war mein Theorielehrer), führte mich auf Frau Wesendoncks Veranlassung dort ein. Es sollte, wie schon so oft, an jenem Abende rezitiert und auch ein neues instrumentales Opus von Schulz-Beuthen, den damals in hohem Ansehen Stehenden, aus der Taufe gehoben werden, und dies unter Mitwirkung des Komponisten, meiner Base Elisabeth externer Wiki-Link von Beschwitz und des Schreibers dieser Zeilen. Wenn ich nicht irre, wirkte auch der 10jährige Enkelsohn der Wesendoncks, Friedrich Wilhelm von Bissing (dessen Pate der spätere externer Wiki-Link Kaiser Friedrich III. war)1 dabei mit, wenn auch nur als "Umwender". Freudigen Herzens holten E. v. Beschwitz und ich den Komponisten und seine Gattin aus deren in der Winkelmannstraße gelegenen Wohnung ab. Bald gelangten wir zur Wesendonckschen Villa, Ecke Goethe- und Wienerstraße im "Englischen Viertel". Hier wohnte die Familie seit 11 Jahren, nachdem sie ihr Züricher Zauberschlößchen auf dem "Grünen Hügel" verlassen hatte. Dieses ihr Dresdner Heim war ein großer vornehmer Renaissance-Bau, in dessen schön gepflegtem Vorgarten ein Bronceabguß des antiken betenden Knaben stand. Auf unser Glockenzeichen (elektrische Hausklingeln gab es noch nicht) erschien ein würdiger alter Diener, ein altes Faktotum, das schon auf dem "Grünen Hügel" so manches miterlebt hatte, und in seinem Gefolge noch andere Bedienstete, deren die reiche Familie ein ganzes Korps (2 männliche und 6 weibliche) besaß. Klopfenden Herzens betraten wir das Haus, von den beiden freundlichen Söhnen Hans und Karl Wesendonck empfangen. Diese führten uns zunächst in die "Gemäldegalerie" des Hausherrn, den Sammelplatz der Gäste. Bald darauf erschienen auch unsere lieben Gastgeber. Otto Wesendonck fiel uns sogleich auf durch seine treuherzige, liebevolle Art der Begrüßung. Frau Mathilde aber mit ihren feinen Gesichtszügen, den gütigen, klugen Augen sowie dem vollen, in der Mitte gescheitelten Haare machte trotz ihrer 54 Jahre einen noch jugendlichen, jedenfalls ungemein gewinnenden Eindruck. Von ihren innigen Beziehungen zu Richard Wagner ahnte ich damals noch nichts. Auch die Dresdner wußten wohl nur, daß sie die vornehme Patrizierin war, die mit feinstem Geschmack in ihrem "Hause der Freude", wie sie ihr Heim nannten, Feste von unvergleichlicher Schönheit gab und "die geistig bedeutendsten Menschen dort zu regem Verkehr zusammenführte, ja durch ihren edlen Takt und ihre Herzensgüte jahrelang entfremdete, ja verfeindete Männer der Wissenschaft und Kunst versöhnte und zu gemeinsamem Wirken für große Aufgaben vereinigte". (H. Göring.) Wie ich, der damals noch unreife Jüngling, dazu kam, in diese illustre Gesellschaft eingeführt zu werden, ist mir heute noch rätselhaft. Wenn auch unbewußt, wurde ich dadurch eines großen Erlebnisses teilhaftig, der persönlichen und nahen Berührung mit Otto und Mathilde Wesendonck. Dafür werde ich mein Lebtag dankbar sein!
 
Mit einem glänzenden Diner begann der Festabend. Hierauf folgte nach literarischen Vorträgen und Rezitationen (denen ich damals wohl noch nicht immer zu folgen vermochte) unsere instrumentale Darbietung. Diese trug dem Komponisten und uns Mitwirkenden warmen und herzlichen Beifall ein. Mathilde Wesendonck dankte uns mit warmem Händedruck. Dann spielte Prof. Hermann Scholtz Chopin. Ganz herrlich. Liszt bezeichnete ihn damals als den besten Chopinspieler. Auch Franz Ries, der Unvergeßliche, ließ sich, von unserem "Onkel Scholtz" begleitet, auf seiner Meistergeige hören. Ich glaube, er spielte (mit Scholtz) die G-dur-Sonate von Brahms. Ries entstammte einer alten Musikerfamilie, sein Ahnherr war bekanntlich Franz Anton Ries, der Violinlehrer und Freund Beethovens. In der Folge wurden wir noch durch eine besondere Gabe erquickt: Ein Mitglied der Hofoper (wenn ich nicht irre, war es Frau Klementine v. Schuch-Proska) sang Wagners Wesendonck-Lieder, die damals noch fast unbekannt waren. Eine tiefe Bewegung ging durch die Reihen, die ich mir damals nicht recht erklären konnte. Während dieser Gesänge saß Frau Mathilde, der ja diese 5 Lieder "als intimste Huldigung des großen Meisters" galten, in einer in Dämmer gehüllten Nische, von uns Gästen ungesehen. "Niemand ahnte den Grund dieser tiefen Pietät, die ein Heiligtum in der tiefsten Stille des Herzens vor jeder Entweihung durch offenkundiges Preisgeben wahrte. Außer dem Gemahl, diesem innerlich vornehmen Charakter, konnte niemand dies fast seltsame Gebahren verstehen." Als Gäste wohnten jenem unvergeßlichen Abende, soweit ich mich erinnere, bei: der Kunsthistoriker externer Wiki-Link Hermann Hettner, der dem Hause besonders nahe stand, sowie der Maler Kietz (Wagnerschen Pariser Angedenkens!). Auch der Dichter und Literaturhistoriker externer Wiki-Link Adolf Stern (seine Frau Margarete war eine bekannte Liszt-Schülerin) spendete irgendeine Gabe (Hölderlin?). Der liebevolle externer Wiki-Link Ludwig Richter aber, der so gern in Wesendoncks Gemäldegalerie weilte und dort seine "feinen Bemerkungen über Malerei an einzelne Werke der alten Italiener knüpfte", hatte leider abgesagt. Er stand damals schon im 80. Lebensjahre. Keine Gelegenheit hatte ich bisher versäumt, ihn zu sehen. Regelmäßig war solches der Fall Sonntags 11 Uhr in der katholischen Hofkirche, wo der liebe Meister während der Messe-Musik auf dem Eckplatze der vordersten Bank des rechten Seitenschiffes zu sitzen bzw. zu knien pflegte, seinen Blick dem herrlichen Altarbilde Torellis zugewendet.2 Nicht lange vorher hatte ich einmal im Saale des "Gewerbehauses" während eines Symphoniekonzertes der Königlichen Kapelle neben ihm gesessen, wo eine unvergleichliche Wiedergabe der B-dur-Symphonie von Beethoven unter meinem Lehrer externer Wiki-Link Franz Wüllner sich meinem jungen Herzen tief einprägte. Noch heute sehe ich dabei Ludwig Richter mit etwas seitlich geneigter Kopfhaltung, andächtig lauschend, zu meiner Rechten. Otto und Mathilde Wesendonck hatten ihren Platz in der 1. Saalreihe, nicht weit von der Königlichen Familie.
 
Doch noch einmal zurück zum Eckhause Goethestraße! Was mir an jenem Abende noch im Einzelnen zum Erlebnis wurde, vermag ich heute, nach 52 Jahren, nicht mehr zu sagen. Soviel aber weiß ich, daß unsere gütige Gastgeberin (sie führte uns zwischendurch auch mal in ihr fürstliches, mit blauer Seide ausgeschlagenes Zimmer) wirklich die erlebte Isolde Richard Wagners gewesen ist, "deren vornehm nordischer Weiblichkeit die unantastbare Reinheit ihrer Ehe mit dem herzenstreuen, über allem kleinlichen Argwohn erhabenen Otto Wesendonck eine Selbstverständlichkeit war". Rich. Wagner pries sich und beide Wesendoncks glücklich, daß es "so etwas gab", wie die ungetrübte Züricher Freundschaft dieser drei Menschen. Wie keusch pietätvoll diese herrliche deutsche Frau ihr "hold Geheimnis" wahrte – gleich der Elisabeth des Tannhäusers – das sieht man daran, daß sie von 1858 bis 1900 nie ein Wort über ihren Geistesbund mit Rich. Wagner sprach, bis unrichtige Urteile darüber sie zwangen, die Tagebuchblätter und Briefe zu veröffentlichen, die schon fast in 100. Auflage in den unschätzbar wertvollen Dokumenten vorliegen: "Richard Wagner an Mathilde Wesendonck" (Tagebuchblätter und Briefe 1853 bis 1871, herausgegeben, eingeleitet und erläutert von Wolfgang Golther. Mit einer Notenbeilage: Fünf Gedichte für eine Frauenstimme. Leipzig, Breitkopf & Härtel, 1922).3  

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1 Seine Tante von Bissing verkehrte im Hause meines Dresdner Onkels von Beschwitz (meinem damaligen Domizil). Ich sah sie dort zuweilen bei Tisch.
2 Übrigens stand L. Richter kirchlich ähnlich wie H. v. Herzogenberg, Rosegger und Reger. Er war auch mit dem Berliner Oberhofprediger D. Kögel bekannt und vertiefte sich gelegentlich in die protestantische Kirchenzeitung externer Wiki-Link Hengstenbergs.
3 Mehr über Mathilde Wesendonck in Dresden siehe in "Erinnerungen an Mathilde Wesendonck" von Dr. H. Göring, "Türmer", 1926, Heft 8.
* Texthervorhebungen im Original gesperrt geschrieben. (TS)

 

Bilder:
  1. Vergrößern  Bosse, Gustav (Hrsg.): Zeitschrift für Musik. Monatsschrift für eine geistige Erneuerung der deutschen Musik. 101. Jahrgang, 1934.

Quellen:
  1. externer Link Archive.org 
  2. externer Link SLUB Dresden [Mscr.Dresd.App.2366]

Links:

Bibliografie:
  • Richter, Otto: Eine Erinnerung an Mathilde Wesendonck. Dresden. In: Bosse, Gustav (Hrsg.): Zeitschrift für Musik. Monatsschrift für eine geistige Erneuerung der deutschen Musik. Gegründet 1834 von Robert Schumann. 101. Jahrgang, 1934, I. Halbjahr (Januar mit Juni), Heft 5. Gustav Bosse Verlag, Berlin, Regensburg u. a. Mai 1934, S. 498 - 500.