25.06.2010

Brief 9. Mai 1859

Wolfgang Golther: Richard Wagner an Mathilde Wesendonk. Tagebuchblätter und Briefe. 1853 - 1871. Alexander Duncker, Berlin 1904Brief vom 9. Mai 1859


Richard Wagner an Mathilde Wesendonck

Ein Brief von Richard Wagner an Mathilde Wesendonck aus dem Jahr 1859.


Richard Wagner hatte mal wieder ein kleines Gesundheitsproblem, das ihn schon eine Woche lang plagte. Er arbeitete gerade an der Musik zu Tristan und Isolde. Mathilde konnte mit einem alten Hausmittel helfen und dem Komponisten ging es wieder besser - der Zwieback: „Gott, was der richtige Zwieback nicht Alles kann!

[9. Mai 1859]
Kind! Kind! Der Zwieback hat geholfen; er hat mich mit einem Ruck über eine böse Stelle hinweggebracht, über der ich seit acht Tagen stockte und nicht weiter konnte. Gestern gings mit dem Arbeitsversuch jämmerlich. Meine Laune war schrecklich und ich liess sie in einem langen Brief an Liszt1 aus, in dem ich ihm ankündigte, es wäre nun mit dem Componiren bei mir aus; sie sollten nur in Karlsruhe auf 'was andres denken. – Die Sonne half auch nicht, und ich musste mich besinnen, dass ihr Schein Freitag früh nur eine Galanterie von mir war; es war das Licht, das ich Ihnen zum Heimleuchten angesteckt. Heute sah ich denn mit vollständiger Trostlosigkeit in den grauen Himmel hinein, und sann nur nach, wem ich nun eine Bitterkeit anhängen wollte. Da ich schon vor 8 Tagen im eigentlichen Componiren nicht weiter konnte (und zwar bei dem Uebergang von „vor Sehnsucht nicht zu sterben“ zur kranken Seefahrt), hatte ich's damals liegen lassen, und hatte dafür zur Ausarbeitung des Anfangs gegriffen, was ich Ihnen vorspielte. Nun ging's aber heute auch damit nicht mehr weiter, weil es mir ist, als ob ich das Alles früher schon einmal viel schöner gemacht hätte, und mich jetzt nicht mehr darauf besinnen könnte. –
Wie der Zwieback kam, merkte ich nun, was mir gefehlt hatte: mein Zwieback hier war viel zu sauer, dabei konnte mir nicht vernünftiges einfallen; aber der süsse, altgewohnte Zwieback, in Milch getaucht, brachte auf einmal alles wieder in's rechte Geleise. Und so warf ich die Ausarbeitung bei seite, und fuhr im Componiren wieder fort, bei der Geschichte von der fernen Aerztin. Jetzt bin ich ganz glücklich: der Ubergang ist über alle Begriffe gelungen, mit einem ganz wunderbaren Zusammenklang zweier Thema's. Gott, was der richtige Zwieback nicht Alles kann! – Zwieback! Zwieback! du bist die richtige Arzenei für verstockte Componisten, – aber der rechte muss er sein! – Jetzt habe ich schönen Vorrath davon; wenn Sie merken, dass er ausgeht, sorgen Sie nur ja von Neuem: ich merke, das ist ein wichtiges Mittel! –
Freitag Abend musste ich noch viel über
Schiller lachen: er hat diesen ganz einzigen Humor, den ich in dieser Liebenswürdigkeit doch an Göthe nicht kenne. Der Lorbeerkranz2 (ich glaube seine Hauseigenthümerin), dessen Zimmer im Herzen ungleich wohlfeiler sind, als im Hause – wiewohl auch daran eher etwas zu verderben wäre –, ist vortrefflich. Ich danke Ihnen für diese Briefe sehr; ich möchte gar nichts weiter lesen, als solche Intimitäten.
Gestern war's grässlich. Mir fiel den ganzen Tag nichts andres an, als der politische Unsinn: Gott, wie himmelhoch wird man über diese „allerwichtigsten Jetztzeitsfragen“ erhoben, sobald man ganz bei sich ist. Wer sich unausgesetzt mit Politik beschäftigen kann, zeigt unwiderleglich, dass selbst Er mit sich nichts anzufangen weiss: nun muss die Aussenwelt dran, und je breiter die sich ausdehnt, desto erhabener dünkt ihm dann der Brei. –
An Frau Ritter habe ich noch vorgestern geschrieben, und ich glaube – bei aller Schonung – doch sehr bestimmt, nützlich und erfolgreich. Wollens hoffen! –
Denken Sie sich, den Brief wegen der Bassclarinetten habe ich erst gestern Abend gelesen. –
Und vorgefallen ist gar nichts. Während Sie sich wieder „vers les Wille's“ haben entrainiren lassen, habe ich mich mit meinem Luzerner Publikum von der Zinne aus begnügt, das seinen Vortheil, den es über Sie hat – nämlich meinen neuen Schlafrock täglich bewundern zu können – mit wahrem Fanatismus ausbeutet. Er muss doch sehr schön sein! –
Nun lassen Sie bald von sich hören, und nicht blos schmecken. Grüssen Sie den Aufgeregten schönstens, und danken Sie ihm noch in meinem Namen für den Besuch, und auch für den Champagner, mit dem er mich tractirt hat! – Aber Zwieback war es doch nicht – Herr Gott! Zwieback!! –
Glückliche Woche mit etwas Sonne wünscht, wer sich am Sonntag ohne Sonne behelfen muss. – Adieu!
 
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1 Brief aus Luzern vom 8. Mai 59; vgl. Briefwechsel II, 248 ff.

2 So benannte Schiller aus unbekannten Gründen seine mütterliche Freundin, Frau Professor Griesbach in Jena.

 


Bilder:
  1. Golther, Wolfgang (Hrsg.): Richard Wagner an Mathilde Wesendonk. Tagebuchblätter und Briefe. 1853 - 1871. Berlin 1904.

Quellen:
  1. Golther, Wolfgang (Hrsg.): Brief 72. In: Richard Wagner an Mathilde Wesendonk. Tagebuchblätter und Briefe. 1853 - 1871. Verlag von Alexander Duncker, Berlin 1904, S. 133 - 136.

Links:

Bibliografie:
  • Bernstein, F. W. (Fritz Weigle): Der Zwieback von Mathilde. Ein langsamer Zürcher Walzer. In: Bernstein, F. W.: Richard Wagners Fahrt ins Glück. Sein Leben in Bildern und Versen. Alexander Fest Verlag, Berlin 2002, S. 107 - 111.  
  • Golther, Wolfgang (Hrsg.): Richard Wagner an Mathilde Wesendonk. Tagebuchblätter und Briefe. 1853 - 1871. Verlag von Alexander Duncker, Berlin 1904.    


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