22.06.2010

Brief 26. Juli 1862

Wolfgang Golther: Briefe Richard Wagners an Otto Wesendonk. 1852 - 1870. Alexander Duncker, Berlin 1905Brief vom 26. Juli 1862


Richard Wagner an Otto Wesendonck


Ein Brief von Richard Wagner an Otto Wesendonck aus dem Jahre 1862.


Wagner hielt sich 1862 ein paar Monate in Biebrich auf, um an seiner Oper Die Meistersinger von Nürnberg zu arbeiten. 

Der Maler Cäsar Willich soll im Auftrag von Otto Wesendonck ein Ölgemälde von Richard Wagner anfertigen. 

Biebrich, 26. Juli 62.

Lieber Wesendonck!

Bereits wirkte der Entschluss, mich um Hülfe an Sie gewandt zu haben, sehr beruhigend auf meine Lage und Stimmung, weil ich aus der Erfahrung Ihre – trotz aller mir gebrachten Opfer – ungeschmälerte Langmuth und Ausdauer Betreffs Ihrer Theilnahme für meine sonderbaren und ebenso anhaltenden Lebensmühen kenne.
Ihre Erfüllung meiner Bitte hätte nun fast vollständig genügt, mir wieder zur nöthigen Lebens- und Arbeits-Lust zu verhelfen, wenn Ihr Brief nicht zugleich mir die erdrückendste Theilnahme für Ihre neuen Sorgen um das Gedeihen Ihrer armen, so unausgesetzt leidenden Frau zugewälzt hätte. Ich bitte Sie inständigst, mir ja umgehend mit einer Zeile die Wendung des Uebels zu melden: nach so vielem, hoffe ich, wird ihre wunderbare schmiegsame Organisation auch diesen letzten Angriff aushalten, und so der erdenklichst sorgsamen Pflege ihren schönsten Lohn verschaffen!
Ueber den Stand meiner Arbeit lassen Sie sich kurz berichten. Als ich sie angriff, gab ich mich der Hoffnung hin, sie in vorzüglicher Schnelle beenden zu können, so dass sie noch für den bevorstehenden Winter den Theatern übergeben werden könnte. Theils war ich von Sorgen und Kummer aller Art so sehr gefangen, dass ich an und für sich oft lange Zeit zur Production unfähig war; theils aber lernte ich auch bald mein eigenthümliches Verhalten zu meinen jetzigen Arbeiten (die ich nun einmal durchaus nicht flüchtig machen kann, sondern an denen ich nur so weit Gefallen finden darf, als ich das kleinste Detail davon nur guten Einfällen verdanke und es demgemäss ausarbeite,) – so fest und unveränderlich erkennen, dass ich auf eine nur so hingeworfene skizzenhafte Arbeit, wie sie einzig in der kurzen Zeit möglich gewesen wäre, verzichten musste. Einsehen müssen, dass ich diese neue Oper aber erst für übernächste Saison den Theatern würde übergeben können, war aber für mich zugleich die Erkenntniss einer ganz ungemein erschwerten und bedrohten Situation. Mir nun die nöthige Zeit von meinem Schicksale gewinnen, war das Einzige, woran ich denken musste.  J e t z t  nun, durch Sie, habe ich Luft und Aussicht gewonnen! Auf die Wiener Aufführung des Tristan, die im Spätherbst (immer noch mit Ander) stattfinden soll, gebe ich nicht viel. Müsste ich aber dennoch um diese Zeit nach Wien gehen, so gedenke ich doch bis dahin etwa mit der vollen Hälfte meines Werkes ganz fertig zu sein. Gegenwärtig bin ich im Finale des ersten Actes begriffen. Zuletzt wurde ich durch die Beschäftigung mit Schnorr's, die 14 Tage hier waren, und die mit grossem Erfolge den Tristan bei mir studirten, sehr aus der zu meiner Arbeit nöthigen Stimmung gerissen, und kann jetzt eben nur das Fertige instrumentiren. Nun kann ich mich aber wieder sammeln, und – Dank Ihrer neu bewährten Freundschaft! – hoffe ich nun auf ein kräftiges Wiederaufnehmen der Arbeit.
Mein Freund! Die Grossherzogin von Baden glaubte in meinem  P o g n e r ,  den ich mit besonderer Wärme las, eine mir wohlthätige Lebenserfahrung zu erkennen, und forderte mich schliesslich auf, auf einen vorzüglichen Repräsentanten für diese Rolle bei meinen Austheilungen zu denken.
Ueber diesen Eindruck freute ich mich ganz besonders. Es ist mir wirklich, als ob ich in der Liebe, mit der ich diese Partie – jetzt auch musikalisch – behandelte, einem Freunde ein Monument gesetzt habe. –
Gott gebe gute Nachricht von der armen lieben Frau! Sonst wäre allerdings alles Erquickende und Erheiternde vergebens! –
Willich malt: er traf mich an einem kalten Julimorgen in meinem alten venetianischen Sammetschlafrock, und will nun, des Effectes willen, durchaus nicht aufgeben, mich in dieser Tracht zu malen. – Möge Alles gut enden! –
Tausend gute, aber schwere bange Grüsse von

Ihrem
Rich. Wagner.


Bilder:
  1. Briefe Richard Wagners an Otto Wesendonk. 1852 - 1870. Berlin 1905.

Quellen:
  1. Golther, Wolfgang (Hrsg.): Brief 45. In: Briefe Richard Wagners an Otto Wesendonk. 1852 - 1870. Verlag von Alexander Duncker, Berlin 1905, S. 105 ff. 

Links:

Bibliografie:
  • Golther, Wolfgang (Hrsg.): Briefe Richard Wagners an Otto Wesendonk. 1852 - 1870. Verlag von Alexander Duncker, Berlin 1905.  


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