Der Zwieback von Mathilde
⌂ 2002
Gedicht
Ein Gedicht von F. W. Bernstein über Mathilde Wesendonck und Richard Wagner sowie ihre Züricher Zeit. Zwieback und der Brief vom 09.05.1859 sind der Aufhänger.
Zufälle gibt es – durch einen bin ich auf das kleine interessante Buch aus dem Berliner Alexander Fest Verlag aus dem Jahre 2002 gestoßen – Richard Wagners Fahrt ins Glück von F. W. Bernstein geschrieben und gezeichnet. Der Autor war u. a. Professor für Karikatur und Bildgeschichte an der Hochschule der Künste in Berlin tätig. Seine Grafiken und lyrischen Werke werden der Neuen Frankfurter Schule zugerechnet. Erfrischend und frech ist hier sein Blick auf die Beziehung Wagner – Wesendonck.
Bernstein, F. W.: Der Zwieback von Mathilde. Ein langsamer Zürcher Walzer.
In: Bernstein, F. W.: Richard Wagners Fahrt ins Glück. Sein Leben in Bildern und Versen. [1]
In: Bernstein, F. W.: Richard Wagners Fahrt ins Glück. Sein Leben in Bildern und Versen. [1]
Zürcher Zustände
Schließlich landete Wagner wieder in Zürich. Bei Minna – wo sonst? Zu seinen Freunden, Verehrern und Rettern gehört dort das wohlhabende Ehepaar Otto und Mathilde wesendonk. Mathilde ging an Wagners Seite in die Musikgeschichte ein. Und welche Rolle spielte in dieser Affäre ihr Zwieback?
Der Zwieback von Mathilde
(Ein langsamer Zürcher Walzer)
Kind! Kind! Der Zwieback hat geholfen; er hat mich mit einem Ruck über eine böse Stelle hinweggebracht … Got, was der richtige Zwieback nicht alles kann! Zwieback! Zwieback! Du bist die richtige Arzenei für verstockte Komponisten …
Wagner am 9. Mai 1859 an Mathilde Wesendonk; er arbeitet an der Musik zu ›Tristan und Isolde‹
Mathilde löscht die Lichter aus
in ziemlicher Züricher Nacht.
Bei Wagner bricht der ›Tristan‹ aus
in aller chromatischer Pracht.
Ein Backwerk – der Zwieback – siehe Zitat,
worin sich der ›Tristan‹ verbirgt,
das Frau Mathilde geliefert hat,
hat wahre Wunder gewirkt.
Mathilde, wenn Sie zu Wagner gehen –
Frau Minna schöpft schon Verdacht –,
haben Sie für sein Wohlergehn
an den Zwieback gedacht?
Sie gehen zu Wagner? Mathilde, hör zu:
Vergiß den Zwieback nicht!
Verzeihung, Frau Wesendonk – einmal nur »Du«,
wie schön, wenn das Herz dabei bricht!
Der Zwieback, Mathilde, mehr als Ihr Kuß,
wirkt Wunder, mit Allgewalt.
Er bringt die stockenden Töne in Fluß:
Freuet euch – ›Tristan‹ kommt bald.
»Hochbeglückt und schmerzentrückt«
schenkt er Ihnen ›Tristans‹ Text.
Die Musik macht später alle verrückt;
Sie haben mit Zwieback gehext!
Nach Dresden sechs Jahre lang keinen Ton!
Nur Aufsätze, Textbücher wie
›Das Kunstwerk der Zukunft‹, ›Die Revolution‹,
›Eine Mitteilung an meine Freunde‹,
›Oper und Drama‹, ›Wieland der Schmied‹ –
und endlich, Madame, für Sie
Gelegenheitswerke, und zwar für Klavier,
eine Sonate, und dann
Albumblätter, fünf Lieder – und hier
kündigt der ›Tristan‹ sich an.
Wagner an Liszt: ein Brief! Er schrie,
weshalb er den ›Tristan‹ schrieb:
»Da ich nun aber … im Leben nie
das eigentliche Glück der Liebe genossen habe«,
drum hat Isolde den Tristan so lieb.
»Wer Licht und Wärme suchen muß«,
schreibt Wagner, »ist traurig dran.«
Von wegen üppiger Liebesgenuß!
Er ist doch der »Dämmermann«.
Er nannte sich nämlich den »Dämmermann«;
er spielt' auf Mathildes Klavier.
Er kam in der Dämmerung bei ihr an,
im Winter so gegen vier.
Eine goldene Feder: »Die ist für dich« –
er schreibt damit manch' Manuskript;
und er weiß bei jedem Federstrich,
daß es, Mathilde, Sie gibt.
Er las aus dem Textbuch oft vor; und da,
da saßen sie alle: ganz vorn
Minna, Mathilde und Cosima –
Wagner wird wiedergeborn.
Zwei Liebende singen und sterben heilfroh –
»Tristan! Geliebter!« – »Wie, hör' ich das Licht?«
Musik, sie lodert so lichterloh:
»Fühlt und seht ihr's nicht?«
Die Liebe, die Liebe als Hausmannskost,
die reicht euch nicht hin und nicht her;
»leuchtende Liebe, lachender Tod«
ist mehr als Geschlechterverkehr.
Die Überwindung der Sinnlichkeit,
die Liebe als geistiger Akt,
das Sehnen nach einem reineren Sein –
Zwieback im Walzertackt!
Die Wesendonks – ein wohlhabendes Paar:
Otto, ganz Güte und Geld;
Mathilde, die Mitte Zwanzig war,
ist's, die dem Wagner gefällt.
Er hat sich bewährt, hat selten gemurrt:
Otto, als gatte erprobt,
bezahlt Richard Wagners Wiedergeburt –
er sei bedankt und gelobt.
Es bauen auf grünem Hügel ihr Haus
die Wesendonks – und nebenan
ziehn Wagners ein – und ziehn wieder aus:
Man hatte sich weh getan.
Wagner, als er noch dort gewohnt,
im Häuschen überm See,
hat Mathildes Gedichte vertont,
voll Engel und Träumen und Weh.
Mathilde, komm, laß uns zwiebacken gehen,
schön in Musik und per Brief;
laß in seligem Reigen uns drehn –
der Haussegen hängt schon so schief.
»Sie hatte mich einst, und sie kannte mich«,
schreibt er nach dem Liebesverlust.
Mathilde, war'n Sie zu zimperlich?
Wagner, paß auf, was du tust!
Minna war's, die hatt' es vergackt!
Berechtigte Eifersucht?
Schluß jetzt mit Zwieback und Walzertackt,
jetzt wird auch der reinsten Liebe entsagt –
Wagner, man rät dir zur Flucht!
Daß Minna sich trennte – hab' ich's erzählt?
So war alle beide er los.
Die, die ihn liebt, die, die ihn gequält.
Was macht der Alte jetzt bloß?
Er fuhr paar Jahr' durch die Weltgeschicht';
Erfolge, Schulden – ach Gott!
Erlöst' ihn ein leibhaft'ger König nicht –
er wär auf der Alb und bankrott.
Die Stelle des Seelenbräutigams,
erfuhr er, als alles vorbei,
sei jetzt besetzt mit Johannes Brahms.
Das war ihm einerlei. [1]
Bilder:
Quellen:
- Bernstein, F. W. (Fritz Weigle): Der Zwieback von Mathilde. Ein langsamer Zürcher Walzer. In: Bernstein, F. W.: Richard Wagners Fahrt ins Glück. Sein Leben in Bildern und Versen. Alexander Fest Verlag, Berlin 2002, S. 107 - 111.
(Mit freundlicher Genehmigung von Fritz Weigle (F. W. Bernstein) und seinem Sohn Konrad Weigle.)
Links:
- F. W. Bernstein (eigentlich Fritz Weigle)
- Brief vom 9. Mai 1859
Bibliografie:
- Bernstein, F. W.: Richard Wagners Fahrt ins Glück. Sein Leben in Bildern und Versen. Alexander Fest Verlag, Berlin 2002.
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