Erinnerungen und Familiengeschichten
von ca. 1840 bis 1893
⌂ 1931
Manuskript
Else Sohn, geb. Rethel (* 1853 - † 1933), die Ehefrau des Malers Carl Rudolph Sohn und Sängerin (Sopran), schrieb diese Aufzeichnungen in den Jahren 1928 - 1931. Ihr Mann malte drei Gemälde für Otto Wesendonck.
Nun liegen mir die Aufzeichnungen "Erinnerungen und Familiengeschichten von ca. 1840 - 1893" der Else Sohn, geb Rethel (*1853 - † 1933) vor. Diese hatte sie 1928 - 1931 aufgezeichnet.
Sohn, Carl Rudolph: Else Sohn-Rethel, die Gattin des Künstlers.
Öl auf Lwd., 106,5 x 88,5 cm, 1873. Stiftung Museum Kunstpalast Düsseldorf.
Öl auf Lwd., 106,5 x 88,5 cm, 1873. Stiftung Museum Kunstpalast Düsseldorf.
Nun komme ich zu dem Manuskript. Das Original muss eine Brandbombe 1943 verschlungen haben. Aber vorher hatte dieses (inkl. aller Schreibfehler), Frau Else Sohn-Rethel war eher der phonetische Typ, mein Urgroßvater Werner Heuser abgetippt. Und meine Tante hatte dieses dann in Word verewigt. Beispiel: Wesendonck war Wesendonc, die Tochter Myra, einer der Söhne Otto - somit ist alles in "Fett" verbesserte Passagen.
Ein gedrucktes Exemplar existiert noch nicht. Auszüge aus den Erinnerungen hatte der Künstlerverein Malkasten zum letzten Jubiläum in einem Buch eingebaut. [Das Buch ist inzwischen erschienen]
... Ich möchte Ihnen zum Dank die kleine Passage, welche das Zusammentreffen mit den Wesendoncks beschreibt, aus ihren Erinnerungen zukommen lassen. [1]
Um meinen eigenen Nachkommen einen Rückblick und Überblick über meine und ihre Vorfahren zu geben, will ich versuchen, soviel es mir noch mein 75jähriges Gedächtnis erlaubt, Nachstehendes aufzuschreiben. [2]
Mein
Portrait1 hatte inzwischen in Dresden viel Anklang gefunden und bei
einer kleinen Gesellschaft bei Großmama2 sah es Herr Wesendonck, der
große Kunstfreund und Mann der Mathilde Wesendonck, der Freundin Richard Wagners. Er bestellte sofort 2 Portraits3 seiner Söhne [Hans (* 1862 - † 1882) und Karl (* 1857 - † 1934)],
Knaben von ungefähr 12 und 16 Jahren und ich erhielt von Carl einen sehr
glücklichen Brief, daß mit dieser Bestellung gewissermaßen der
Grundstein für unsere Ehe gelegt wäre und daß nun doch allmählich an die
Hochzeit gedacht werden könne. Bald darauf kam er nach Dresden und es
wurde die kleine Stube nach der Parkstraße hinaus, in der ich mit Mama
wohnte und die nach Norden lag, für seine Malerei eingerichtet
[ Oppenheim'sche Palais, Bürgerwiese 5-7, Dresden]. Wesendoncks wohnten
in einer hübschen Villa in der Wienerstraße [Nr.14, Villa Wesendonck] mit
angebauter Bildergalerie, ganz dicht bei uns.
Wir machten nun einen pflichtschuldigen Besuch und ich sah bei dieser Gelegenheit die berühmte Mathilde, das Vorbild für die „Isolde“, wie man sagte. Sie hatte wohl die Absicht, liebenswürdig zu sein, war aber doch so unnahbar, daß mir nicht ganz gemütlich dabei wurde. Sie hatte ein sehr feines Gesicht, sehr hohe Stirne und blaue Augen, das hellbraune Haar etwas phantastisch zurecht gemacht, die Kleidung gewandartig; sie schien auch etwas leidend zu sein. Herr Wesendonck, der bedeutend älter war als sie, war ganz besonders sympathisch und vertiefte sich sofort mit Carl in ein längeres Gespräch über Kunst und zeigte uns die sehr schöne Galerie. Mathilde zog sich zurück und mir fiel ein Stein vom Herzen. Die beiden Söhne wurden gerufen, die Sitzungen vereinbart, die schon am anderen Morgen begannen. Die Schule war kein Hindernis, denn sie hatten einen Hauslehrer.
Ich war bei den Sitzungen zugegen und las dem Jüngeren, ich glaube, er hieß Otto [Hans], vor. Er war etwas kränklich und schien sehr verwöhnt zu sein. Wir mußten immer lachen, wenn er die reichlich belegten Frühstücksbrote immer nur aus der Mitte aß, wo Butter und Fleisch waren, und die saftigen Rinden in seiner Hosentasche verschwinden ließ. Der ältere Bruder war schon erzogener und hatte einen sehr schönen, interessanten Kopf. Die schon 18jährige Tochter Myrrha [23jährig (* 1851 - † 1888)] war in Pension, den Bildern nach ein besonders interessantes Mädchen, wir hätten sie gern kennengelernt. Sie heiratete später [22.08.1872] einen Offizier, Herrn von Bissing, [Schwestersohn von Eliza Wille], der im Weltkrieg Gouverneur von Belgien wurde [27.11.1914].
Herr Wesendonck kaufte von Carl noch ein kleines, sehr nettes Genrebild, eine Mutter an der Wiege darstellend. Wir wurden noch öfters zu ihnen eingeladen, zu einem Diner in kleinerem Kreise, aber vor allem zu einer größeren Abendgesellschaft, für welche alle Kreise Dresdens Einladungen ergangen waren, auch vor allem an verschiedene der damaligen Sänger der Oper. Ein Gelehrter hielt einen längeren Vortrag. Dann sangen der erste Bariton und eine Sängerin. Mathilde war der Mittelpunkt, sehr angeregt und gar nicht „leiden“. Man huldigte der berühmten Frau von allen Seiten, aber trotzdem ließ sie mich in jeder Beziehung kalt. Carl und Herr Wesendonck freundeten sich durch ihre gemeinsamen Kunstinteressen immer mehr an, so daß einige Jahre später, als er Witwer4 war und nach Berlin zog, Carl ihn noch öfters in seinem schönen Haus mit den schönen Bildern besuchte.
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1 Else Sohn-Rethel 1873, Museum Kunstpalast Düsseldorf.
2 Elisabeth Julie Grahl, geb. Oppenheim.
3 Vgl.: Wesendonck, Otto: Katalog: III. Familien- und Freundes-Bildnisse. 1888:
[] Anmerkungen von Julia Lambert und Thomas Seidel. (TS)
Hans Pleschinski
Ich war glücklich, ob es regnete oder nicht
Lebenserinnerungen von Else Sohn-Rethel
C. H. Beck, München 2016
Wir machten nun einen pflichtschuldigen Besuch und ich sah bei dieser Gelegenheit die berühmte Mathilde, das Vorbild für die „Isolde“, wie man sagte. Sie hatte wohl die Absicht, liebenswürdig zu sein, war aber doch so unnahbar, daß mir nicht ganz gemütlich dabei wurde. Sie hatte ein sehr feines Gesicht, sehr hohe Stirne und blaue Augen, das hellbraune Haar etwas phantastisch zurecht gemacht, die Kleidung gewandartig; sie schien auch etwas leidend zu sein. Herr Wesendonck, der bedeutend älter war als sie, war ganz besonders sympathisch und vertiefte sich sofort mit Carl in ein längeres Gespräch über Kunst und zeigte uns die sehr schöne Galerie. Mathilde zog sich zurück und mir fiel ein Stein vom Herzen. Die beiden Söhne wurden gerufen, die Sitzungen vereinbart, die schon am anderen Morgen begannen. Die Schule war kein Hindernis, denn sie hatten einen Hauslehrer.
Ich war bei den Sitzungen zugegen und las dem Jüngeren, ich glaube, er hieß Otto [Hans], vor. Er war etwas kränklich und schien sehr verwöhnt zu sein. Wir mußten immer lachen, wenn er die reichlich belegten Frühstücksbrote immer nur aus der Mitte aß, wo Butter und Fleisch waren, und die saftigen Rinden in seiner Hosentasche verschwinden ließ. Der ältere Bruder war schon erzogener und hatte einen sehr schönen, interessanten Kopf. Die schon 18jährige Tochter Myrrha [23jährig (* 1851 - † 1888)] war in Pension, den Bildern nach ein besonders interessantes Mädchen, wir hätten sie gern kennengelernt. Sie heiratete später [22.08.1872] einen Offizier, Herrn von Bissing, [Schwestersohn von Eliza Wille], der im Weltkrieg Gouverneur von Belgien wurde [27.11.1914].
Herr Wesendonck kaufte von Carl noch ein kleines, sehr nettes Genrebild, eine Mutter an der Wiege darstellend. Wir wurden noch öfters zu ihnen eingeladen, zu einem Diner in kleinerem Kreise, aber vor allem zu einer größeren Abendgesellschaft, für welche alle Kreise Dresdens Einladungen ergangen waren, auch vor allem an verschiedene der damaligen Sänger der Oper. Ein Gelehrter hielt einen längeren Vortrag. Dann sangen der erste Bariton und eine Sängerin. Mathilde war der Mittelpunkt, sehr angeregt und gar nicht „leiden“. Man huldigte der berühmten Frau von allen Seiten, aber trotzdem ließ sie mich in jeder Beziehung kalt. Carl und Herr Wesendonck freundeten sich durch ihre gemeinsamen Kunstinteressen immer mehr an, so daß einige Jahre später, als er Witwer4 war und nach Berlin zog, Carl ihn noch öfters in seinem schönen Haus mit den schönen Bildern besuchte.
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1 Else Sohn-Rethel 1873, Museum Kunstpalast Düsseldorf.
2 Elisabeth Julie Grahl, geb. Oppenheim.
3 Vgl.: Wesendonck, Otto: Katalog: III. Familien- und Freundes-Bildnisse. 1888:
- N: Bildnis von Hans Wesendonck im Alter von 10 Jahren. Gez. C. Sohn jr. 73, Lwd. 52 x 41 cm. In Dresden gemalt 1872 [SMB 1991/G316]
- M: Bildnis von Karl Wesendonck im Alter von 17 Jahren. Lwd. 52 x 41 cm. Gemalt in Dresden 1874 von C. Sohn jr. [SMB 1991/G317]
[] Anmerkungen von Julia Lambert und Thomas Seidel. (TS)
Hans Pleschinski
Ich war glücklich, ob es regnete oder nicht
Lebenserinnerungen von Else Sohn-Rethel
C. H. Beck, München 2016
Quellen:
- E-Mail vom 17. und 19.02.2015 von Julia Lambert.
- Ebenda: Else Sohn im Vorwort zu ihren Erinnerungen.
Links:
Bibliografie:
- Wesendonck, Otto: Gemälde-Sammlung von Otto Wesendonck in Berlin. Katalog A-B. A. Haack-Verlag, Berlin 1888.
- Pleschinski, Hans (Hrsg.): Ich war glücklich, ob es regnete oder nicht. Lebenserinnerungen von Else Sohn-Rethel. C. H. Beck, München 2016.
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