Das Geburtshaus Mathilde Wesendonks
im Elberfelder Kipdorf
⌂ 1931
Zeitschriftenartikel
In der Monatsschrift des Bergischen Geschichtsvereins für die alten Herzogtümer Berg und Jülich, Bergisch-Jülichsche Geschichtsblätter von 1931 (8. Jahrgang, Heft 3/4 - April/Oktober) veröffentlichte Dr. Alfred Schulz seinen Aufsatz Das Geburtshaus Mathilde Wesendonks im Elberfelder Kipdorf.
Aufsatz von Alfred Schulz in: Bergisch-Jülichsche Geschichtsblätter. 1931, Heft 3/4, S. 40 - 41.
Das Geburtshaus Mathilde Wesendonks
im Elberfelder Kipdorf.
Von Dr. Alfred Schulz.
im Elberfelder Kipdorf.
Von Dr. Alfred Schulz.
Mathilde Wesendonk, die Frau, der Richard Wagner so unendlich viel zu verdanken hat, wurde am 23. Dezember 1828 in Elberfeld im Hause Kipdorf 27 geboren, als Tochter des bekannten Kaufmanns und späteren kgl. Kommerzienrats Karl Luckemeyer und seiner Frau Johanna geb. Stein*. Angeregt durch den zum hundertsten Male sich jährenden Geburtstag ist es meinem inzwischen verstorbenen Vater durch Nachforschungen gelungen, einwandfrei aus den in den Archiven des Elberfelder Landgerichts vorhandenen Kirchenbüchern der bergischen Gemeinden den Nachweis zu erbringen, daß das noch gut erhaltene im altbergischen Stil erbaute Haus Kipdorf 27** das Geburtshaus Mathilde Wesendonks ist.
In diesem Zusammenhange dürfte es von allgemeinem Interesse sein, daß der Vater Luckemeyer, wie aus den Kirchenbüchern zu ersehen ist, seine Tochter unter dem Namen Agnes in das Taufregister hat eintragen lassen. Einem reinen Zufall verdanken wir es, wenn wir heute mit Bestimmtheit den Grund dieser eigenartigen Namensänderung kennen. Gelegentlich eines Besuches bei der jetzt noch in Berlin lebenden, hochbetagten letzten Beschließerin des Hauses Wesendonk erzählte diese, auf Bitten ihres Gatten, Otto Wesendonk, habe sie sich von ihm Mathilde nennen lassen und sei dann immer so genannt worden. Erst nach dem Tode ihres Mannes habe sie dann den eigentlichen Grund erfahren, der ihn zu dieser Bitte bewogen hat. Otto Wesendonks erste Frau, mit Vornamen Mathilde, habe er nach ganz kurzer Ehe schon auf der Hochzeitsreise in Florenz verloren. Dem Andenken an diese Frau (die Tatsache dieser ersten Ehe habe Frau Wesendonk erst nach dem Tode ihres Mannes erfahren) dürfte wohl die Bitte dieser eigenartigen Namensänderung entsprungen sein, die "Agnes", großzügig wie sie war, ihrem jungen Gatten gern gewährte. In dem Testament Otto Wesendonks findet man hierüber nur die kurze Bemerkung: Da der Name Agnes nicht gefiel, wurde der Vorname Mathilde gebraucht." Dieser noch lebenden letzten Beschließerin, Fräulein Hoffmann, der sie durch langjährige treue Dienste für ihr Haus freundschaftlich nahe gestanden hat, vertraute Frau Wesendonk den eigentlichen Grund dieser sonderbar anmutenden Namensänderung an. Auch mancherlei interessante Erinnerungen aus ihrem Leben bewahrte diese Dame noch auf, die wert wären, am Ort ihrer Geburt in einem eigenen "Wesendonkzimmer" gesammelt zu werden.
Welchen überreichen Einfluß Mathilde Wesendonk während des Aufenthaltes Richard Wagners in seinem "Asyl" am Züricher See gehabt hat, dürfte zur Genüge bekannt sein. Frau Wesendonk erzählt darüber in ihren Erinnerungen, mitgeteilt durch Wolfgang Golther nach A. Heintz in der Allgemeinen Musikzeitung vom 14. Februar 1896, nachdem sie die tiefen Eindrücke schildert, die sie allmählich durch die freundschaftlichen Beziehungen Wagners zu ihrem Hause empfangen hat, u. a. folgendes: Erst 1853 wurde der Verkehr freundschaftlicher und vertrauter. Alsdann begann der Meister, mich in seine Intensionen näher einzuweihen. Zunächst las er die "Drei Opern-Dichtungen", die mich entzückten, hierauf die Einleitung dazu und allmählich eine seiner Prosa-Schriften nach der anderen ...
1854 (von Juni bis Dezember) schrieb und vollendete er die Skizzen zur "Walküre". Das kurze Vorspiel trägt die Buchstaben: G(esegnet) S(ei) M(athilde)!
Wesendonk verehrte ihm um diese Zeit eine amerikanische Goldfeder. Mit dieser Goldfeder hat er die ganze Orchester-Partitur der "Walküre" geschrieben, die ein wahres Meisterwerk der Kalligraphie ist. Diese Partitur war Wesendonks Eigentum, er hat sie durch Ankauf vom Meister erworben. Später hat er sie, auf Wunsch des Meisters, Sr. M. dem König Ludwig II. von Bayern zum Geschenk gemacht und dafür einen eigenhändigen Brief des Königs als Dank und als Gegengabe erhalten.
Eine "Faust"-Ouvertüre, geschrieben in Paris im Januar 1840, neu bearbeitet in Zürich im Januar 1855, hatte er die Absicht, mir zu widmen. Plötzlich überkam ihm der Gedanke, daß das unmöglich sei! "Unmöglich", rief er aus, "kann ich Ihnen das furchtbare Motto an die Brust heften:
"Der Gott, der mir im Busen wohnt,So begnügte er sich, mir die Partitur zu verehren und darunter die wenigen Worte zu setzen: "R. W. Zürich 17. Jan. 55 zum Andenken S(einer) l(ieben) F(reundin)!" ...
Kann tief mein Innerstes erregen;
Der über allen meinen Kräften thront,
Er kann nach außen nichts bewegen;
Und so ist mir das Dasein eine Last,
Der Tod erwünscht, das Leben mir verhaßt."***
Was er am Vormittage komponierte, das pflegte er am Nachmittage auf meinem Flügel vorzutragen und zu prüfen. Es war die Stunde zwischen 5 und 6 Uhr; er selbst nannte sich: "den Dämmermann".
Da kam es denn auch vor, daß etwas ihn nicht befriedigte und er nach einem anderen Ausdruck suchte. Einmal war das der Fall beim Aufbau des Walhall-Motivs. Ich sagte: "Meister, das ist gut!" Er aber: "Nein, nein, es muß noch besser werden." - Er ging eine Weile ungeduldig im Salon auf und ab, rannte dann endlich hinaus. Am folgenden Nachmittag erschien er nicht, auch am zweiten und dritten blieb er fern. Endlich kommt er ganz still und unbemerkt herein, setzt sich an den Flügel und spielt das herrliche Motiv ganz wie früher. "Nun?" - sagte ich. - "Ja, ja! Sie hat recht, ich kanns nicht besser machen!"
So habe ich das Beste, was ich weiß, nur ihm zu verdanken." ...
Aufs tiefste haben die Beziehungen zu dieser Frau Wagners künstlerisches Schaffen befruchtet und beeinflußt. Für sie hat er die "Albumsonate" geschrieben, und in der Vertonung der "Fünf Gedichte" hat er ihrer beiden seelischen Verbundenheit ein ewiges erhabenes Denkmal gesetzt. Ihr Einfluß auf Komposition und Dichtung der "Meistersinger" ist unverkennbar. Hätte Mathilde Wesendonk, die er seine "Muse" nennt und "den Engel, der mich so hoch erhoben", den Weg des Meisters nie gekreuzt, so wäre "Tristan und Isolde", sein größtes Wunderwerk, wohl nie entstanden. Noch viele Jahre später schreibt Richard Wagner an die Freundin: "Daß ich den Tristan geschrieben, danke ich Ihnen aus tiefster Seele in alle Ewigkeit!" Schlicht und einfach schreibt über diese Tatsache Frau Wesendonk: "Richard Wagner liebte sein "Asyl", wie er sein Heim in der Enge bei Zürich nannte. Mit Schmerz und Trauer hat er es verlassen, - freiwillig verlassen! Warum? Müßige Frage! Wir haben aus dieser Zeit das Werk: "Tristan und Isolde"! Der Rest ist Schweigen und sich neigen in Ehrfurcht!"
Die Kunde von der Existenz der Geburtsstätte unserer berühmten Elberfelder Mitbürgerin, die ihre letzte Ruhestätte in rheinischer Erde auf dem alten Bonner Friedhof gefunden hat, in weiteste Kreise zu bringen und die Erinnerung an sie wach zu halten, dürfte eine dankbare Aufgabe sein. In etwa ist dieses Haus dadurch dem Alltagsleben entzogen worden, daß zwei hiesige Körperschaften, der Oststädtische Bürgerverein und der Bund Deutscher Akademiker des Wuppertals an diesem Hause eine Marmortafel haben anbringen lassen, auf der die geschichtliche Tatsache niedergeschrieben ist. Am 23. November 1930 wurde sie in feierlichem Akt der Stadtverwaltung zu treuen Händen übergeben. Eine Erinnerungsstätte ist dadurch geschaffen, die man durch Stellung des Hauses unter Denkmalschutz der Nachwelt erhalten könnte.
Ist das "Wesendonkhaus" im Kipdorf 27 erst tatsächlich als solches bekannt, so werden die Verehrer dieser einzigartigen Frau und der Kunst Richard Wagners aus aller Welt hinpilgern zur Wiege "seiner Muse"!
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* Johanna Stein (geb. zu Köln am 3. Juli 1801, gest. zu Düsseldorf am 30 Januar 1862) war die Tochter des Kölner Kaufmanns Johann Heinrich Stein, des Gründers des noch blühenden Bankhauses "J. H. Stein" in Köln und dessen Ehefrau Katharina Peill aus Stolberg, entstammte also mütterlicherseits einem alten Elberfelder Geschlecht. Die Schriftltg.
** Texthervorhebungen so nicht im Original (gesperrt geschrieben). (TS)
*** Original: Aus Goethes "Faust". Vgl. auch: Richard Wagners Briefe in Originalausgaben. Erste Folge, V. Richard Wagner an Mathilde Wesendonk. Verlag von Breitkopf & Härtel, Leipzig 1912, S. VIII. (TS)
Bilder:
Links:
Bibliografie:
- Richard Wagners Briefe in Originalausgaben. Erste Folge, Band V. Richard Wagner an Mathilde Wesendonk. Verlag von Breitkopf & Härtel, Leipzig 1912.
- Schulz, Alfred: Das Geburtshaus Mathilde Wesendonks im Elberfelder Kipdorf. In: Bergisch-Jülichsche Geschichtsblätter. Monatsschrift des Bergischen Geschichtsvereins für die alten Herzogtümer Berg und Jülich. 8. Jahrgang, 1931, Heft 3/4 April/Oktober. Verlag A. Martini & Grüttefin, Elberfeld 1931, S. 40 - 41.
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