05.02.2013

Ein Gedenkblatt zu ihrem zehnjährigen Todestage

Neue Zeitschrift für Musik. 79. Jahrgang, 1912Mathilde Wesendonk - Ein Gedenkblatt
zu ihrem zehnjährigen Todestage


1912

Zeitschriftenaufsatz


Ein Aufsatz von Georg Kaiser aus dem Jahre 1912, der in der Neuen Zeitschrift für Musik veröffentlicht wurde und an den 10. Todestag von Mathilde Wesendonck erinnert. [1]

Neue Zeitschrift für Musik. 79. Jahrgang, Heft 36/37, September 1912
Neue Zeitschrift für Musik. 79. Jahrgang, Heft 36/37, September 1912.


Neue Zeitschrift für Musik. 79. Jahrgang, Heft 36/37, September 1912, S. 493
Neue Zeitschrift für Musik. 79. Jahrgang, Heft 36/37, September 1912, S. 493. (2)


Mathilde Wesendonk
Ein Gedenkblatt zu ihrem zehnjährigen Todestage

Von Dr. Georg Kaiser

Die Konturen des den Kennern von Wagners Lebensgeschichte bisher in mild verklärtem Lichte erschienenen Bildes von Mathilde Wesendonk, der langjährigen treuen Freundin des Meisters, beginnen jetzt sich leise zu verschieben, undeutlich zu werden, und der madonnenhafte Schimmer, der um das Haupt der edlen Frau zu schweben schien, fängt an, einem schwankenden Nebeldämmer zu weichen.
Als vor nunmehr zehn Jahren, am 31. August 1902, Mathilde Wesendonk im hohen Alter von vierundsiebzig Jahren das Zeitliche segnete, und kurze Zeit darauf die Sammlung der in ihrem Besitz gewesenen Tagebuchblätter und Briefe Wagners im Druck erschienen, da war man sich klar, daß der Meister von "Tristan und Isolde" in dieser Frau einen guten Geist besessen hatte, der ihn in schwerer Zeit mit sicherer und doch unendlich weicher, liebevoller Hand in die Gefilde wonnigsten, hehrsten Kunstschaffens geleitete. Das Buch der Briefe des Meisters an diesen guten Geist wurde allenthalben wie ein Ereignis von besonderem Werte begrüßt und gefeiert; viele Auflagen sind seitdem davon in die Welt gegangen.
Im einzelnen freilich mag man bei der Betrachtung dieses idealen Freundschaftsverhältnisses sich wohl in zu viel Fantasterei und Schwärmerei verloren haben; auch mag es die Verehrer der Frau Cosima Wagner, der geist- und energievollen Hüterin von Bayreuth, deren hohe Verdienste um des Meisters Werk als einer noch unter uns Lebenden nicht überall in ihrer rechten Bedeutung eingeschätzt werden, geschmerzt haben, hier einen kurzen wenn auch wichtigen Zeitabschnitt aus Wagners Leben auf Grund dieser Briefe mit einer Gründlichkeit und Emphase behandelt zu sehen, wie sie den Verdiensten der zweiten Gattin Wagners bisher nur selten zuteil ward; es kam noch vor zwei Jahren die Veröffentlichung des großen autobiographischen Fragments "Mein Leben" hinzu, das, unter den Augen der Gattin niedergeschrieben, sich über die Beziehungen zu Mathilde mit merkwürdiger, wenngleich begreiflicher Kühle erging - kurz, dies alles trug dazu bei, das zunächst aus der Briefpublikation gewonnene edle Bild der Frau Wesendonk sacht zu verkleiner. Houston Stewart Chamberlain, der scharfsinnige Verfasser einer Lebens- und Kunstbetrachtung seines Schwiegervaters Wagner, schrieb unter dem Eindrucke der matten darstellung in "Mein Leben" in dem Vorworte zur vorjährigen Neuauflage seines Werkes, daß niemals in den Beziehungen zu Herrn und Frau Wesendonk eine Trübung bestanden habe; und daraus folgert er gleichsam:
"Wie wäre das möglich, wenn dem Verhältnis zwischen Richard Wagner und Mathilde Wesendonk jene leidenschaftliche, rein individuelle und einzige Bedeutung zukäme, welche oberflächlich Urteilende ihm andichten? Ebensowenig besaß aber jene liebliche junge Frau und Mutter die geistige Bedeutung, fähig einem Dichter zu hohen Eingebungen die erste Anregung zu spenden."*  
Und nun, sich ins Allgemeine wendend, fährt er fort:
"Überhaupt pflegen wir den Einfluß der Frau - als Persönlichkeit und im Gegensatz zu ihrer elementaren Bedeutung als Weib - viel zu hoch einzuschätzen in bezug auf die Hervorbringung genialer Werke; die Frau ist die geborene Antagonistin des Geistes.
In diesem Zusammenhange wird der Chamberlainsche Satz nicht nur die in Sachen Wesendonk Andersgläubigen verletzen, sondern auch die, die beispielsweise die ganz anders gearteten geistigen Beziehungen des von Hermann Bahr im "Konzert" unnötig lächerlich gemachten Verhältnisses Goethes zur Frau von Stein als hochbedeutsam einschätzen. Noch eine andere Stimme erhob sich jüngst, um gegen Mathildes hohen Geist zu zeugen: Emilie Heim, die Frau des 1880 in Zürich verstorbenen "Papa Heim", eines um die Sammlung von Volksliedern verdienten Musikers, war von Henry Bordeaux einst über die Beziehungen Wagners zu Frau Wesendonk, ihrer früheren intimen Freundin interviewt worden, und nach ihrem vor einigen Monaten erfolgten Tode plaudert Bordeaux in der literarischen Beilage des "Figaro" nun seine Geheimnisse aus. Frau Heim, die bei der von Wagner in Zürich zu Liszts 45. Geburtstage veranstalteten privaten Aufführung des ersten Aktes der "Walküre", wo der am Klavier sitzende Liszt das Orchester, Wagner selber zugleich Siegmund und Hunding war, die Sieglinde gesungen hatte, hielt nur auf die "Mathilde vor Wagner" gute Stücke; "wenn man sie nur sah", meinte Frau Heim, "hatte man Freude an ihr, sie war wie eine Blume." Auf die Beziehungen Mathildes zu Wagner ist sie indessen sehr schlecht zu sprechen: Die Liebe des Meisters sei ihr zu Kopf gestiegen, und sie hätte sich schließlich selbst für ein Genie gehalten; sie habe unerträgliche Gedichte geschrieben, und das "wirkliche" Tristan-Drama hätte das Bild eines reizbaren Wagner und einer ihrer wahren Natur entfremdeten Mathilde gezeigt.
Der berühmte Brief des Meisters aus Genf vom 20. August 1858 an seine Schwester Kläre, der über die Beziehungen zu Mathilde und die vorläufige Trennung Wagners von seiner Frau Minna "Aufklärung geben soll, wo sie nötig sein sollte", enthält zum Schlusse die Worte: "Begreifen, um was es sich hier handelt, werden doch nur die Wenigsten". Und gewiß, trotz der äußeren Kenntnis der kümmerlichen Lage, in der Wagner sich großenteils in der Zeit seines schweizerischen und durch mehrere "Geschäftsreisen" ins Ausland unterbrochenen Exils (1849 bis 1859) befand, gehört noch ein besonderes Verstehen dazu, das Verhältnis zu der schönen Frau im rechten Lichte zu sehen. Der genannte Brief spricht es auch aus, daß hier eine tiefe Neigung, da von einer Vereinigung nicht die Rede sein konnte, den traurig wehmütigen Charakter gewann, der alles Gemeine und Niedrige fernhielt und nur in dem Wohlergehen des anderen den Quell der Freude erkannte.
"Heiter und wolkenlos mußte über mir der Himmel sich wölben, sanft und weich sollte mein Schritt sein, wo ich ging.
Während Minna, die schnell gealterte Gattin, den Künstler drängte, im effektvollen Stil des erfolgreichen "Rienzi" weiterzuarbeiten, nach klingenden Erfolgen zu trachten, wie sie anderen, minder bedeutenden Geistern leicht zuteil wurden, bereitete Mathilde in zarter, feinsinnigster Weise dem meister, der sich sehnte, von der Misere der Kunst, die nach Brot geht, loszukommen, in einem kleinen Gute neben ihrer eigenen, prächtig über dem Zürichsee gelegenen Villa in der Vorstadt Enge ein "Asyl", befreite ihn, soweit es in ihrer Macht lag, von pekuniären Sorgen, um seinen neuen, von Minna als unsinnig bezeichneten Plänen zur Ausführung zu verhelfen.
Wagner lernte Mathilde kennen, da sie etwa vierundzwanzig Jahre alt war. Als Tochter eines reichen Kaufmanns am 23. Dezember 1828 in Elberfeld geboren, hatte sie wohl in Düsseldorf und in Dünkirchen sorgsame Erziehung genossen, aber die vor den Stürmen des Lebens Behütete war, als sie mit zwanzig Jahren den reichen Teilhaber eines amerikanischen Seidenhauses Otto Wesendonk heiratete, doch noch recht weltfremd. Ihre und Wagners Freunde aus jener zeit schildern sie als außerordentlich zart, schön, weiblich anmutig, voll idealer Gesinnung und poetischer Sinnigkeit. Otto Wesendonk, den sie über ihre Beziehungen zu Wagner bald aufklärte, den sie bewog, von ihr abzustehen und seine Liebe zu ihr darin zu beweisen, daß er Wagner nach allen Kräften unterstützte, war ein großer, kräftiger Mann, das Bild einer gesunden germanischen Natur; seine menschliche Größe erhielt später im König Marke von Wagner ein unvergängliches Denkmal. Im Hause des gleichfalls aus Dresden nach Zürich entflohenen Rechtsanwalts Marschall von Bieberstein lernte der unruhvolle Meister das Ehepaar kennen, und schon im März 1852 schreibt er an Freund Uhlig nach Dresden: "ein feucht glänzendes Frauenauge durchdringt mich oft wieder mit neuer Hoffnung", Worte, die sich beim Siegmund der damals gedichteten "Walküre" umwandelten: "ihres Auges Strahl streifte mich da, Wärme gewann ich und Tag". Über das von ihm in Zürich 1853 gegebene bekannte Konzert mit nur eigenen Kompositionen schreibt er an Liszt:
"Es war wirklich ein Fest für die Welt um mich herum: die Frauen sind mir alle gut geworden, und einer schönen Frau legte ich das ganze Fest zu Füßen!"
Als "Dämmermann" weilte Wagner bald täglich am Spätnachmittag bei Wesendonks; er weiht Mathilde in alle seine Pläne ein, spielt ihr Beethovensche Sinfonien vor und alles das, was er in den Vormittagsarbeitsstunden komponiert hat, macht sie zur Vertrauten bei der Abfassung seiner Dichtungen und Prosaschriften, von denen damals die wichtigsten entstanden, und Mathilde freute sich, wenn sie ihm zu folgen vermochte und an seiner Begeisterung die ihrige entzündete. Die Gespräche mit Jacob Sulzer, Bülow, Gottfried Semper, Tausig, den Willes, Georg Herwegh fanden auf dem "grünen Hügel" ihren Widerhall; Schopenhauer und Calderon, die beide von bedeutendem Einfluß auf das Schaffen des Meisters werden sollten, wurden eifrig studiert und genossen, und so folgte auf das bis zum "Siegfried" gediehene Ringfragment der erste Entwurf des "Parsifal" (erst später wandelt Wagner den Helden zum Parsival, dem "reinen Toren", um), der Prosaentwurf und bald der ganz vollendete "Tristan". Dieses mit Herzblut geschriebene Werk stellt die künstlerische Frucht der Beziehungen zu Mathilde dar; "daß ich den Tristan geschrieben, danke ich Ihnen aus tiefster Seele in alle Ewigkeit", schreibt Wagner der Freundin. Und er nimmt im Sommer 1858, nachdem die kranke, höchst reizbare Minna das Verhältnis ihres Gatten zu Wesendonks durch ihr taktloses Dazwischentreten entweiht hatte, mit den Worten von Mathilde Abschied:
"Mein Kind, ich kann mir nur noch ein Heil denken, und dies kann nur aus der innersten Tiefe des Herzens, nicht aber aus irgend einer äußeren Veranstaltung kommen. Es heißt: Ruhe! Ruhe der Sehnsucht! Stillung jedem Begehren! Edle würdige Überwindung! Leben für Andere, für Andere - zum Troste für uns selbst! Du kennst jetzt die ganze ernste entscheidende Stimmung meiner Seele; sie bezieht sich auf meine ganze Lebensanschauung, auf alle Zukunft, auf alles, was mir nahe steht - und so auch auf Dich, die Du mir das teuerste bist! Laß mich nun noch auf den Trümmern dieser Welt des Sehnens - Dich beglücken! ... Laß uns selig dahinsterben, mit ruhig verklärtem Blick und dem heiligen Lächeln schöner Überwindung! Und keiner soll dann verlieren, wenn wir - - siegen! Lebe wohl, mein lieber heiliger Engel!"
Und viel später, fünf Jahre darauf, schreibt Mathilde, mit der der Meister stetig in Briefwechsel geblieben, Worte tiefsten Verstehens an ihn:
"Sie freudehelfeloser Mann - ein Ausdruck, den ich einmal in Walther von d. Vogelweide fand, und im innersten Herzen gleich auf Sie anwandte. Wer Ihnen je helfen möchte, müßte sehr glücklich sein! ... Wie entsetzlich es mir ist, Sie so inder Welt herumgehetzt zu sehn, um Konzerte zu geben, brauche ich Ihnen nicht zu sagen. Und wenn der Himmel vom Beifall der Menge widerhallte, es wäre doch kein Ersatz, Ihrem Opfer angemessen. Mit blutendem Herzen folge ich Ihren sogenannten Triumphen und kann fast bitter werden, wenn man mir diese als ein erfreuliches Ereignis darstellen will. Ich fühle dann nur, wie wenig man Sie kennt, das heißt, versteht, und fühle dann auch, daß ich Sie kenne und liebe! Was der einzelne vermag, ist so wenig, dem tausendköpfigen Ungeheuer gegenüber, das sich Welt nennt. Man könnte sein Herzblut vergießen und gewänne ihr nicht ein bißchen Liebe ab. So ist es und so war es wohl vor uns.
Aus dieser Briefstelle allein geht schon hervor, daß Mathilde Wesendonk nicht die nur schöne und zarte Frau war, als die sie jetzt gern bezeichnet wird. Wagner hat sie nicht blindlings angeschwärmt, ohne daß sie hätte dem Höhenfluge seiner Ideen folgen können; sie war der Spiegel, der ihm sein eigenes Bild zurückstrahlte und aus dem es zurücktönte: so ist es recht, Du bist auf guter Bahn! Denn sie nahm nicht nur Anteil an seinem Schaffen, sie beeinflußte es. Der "Tristan", diese "Kunst des tönenden Schweigens", wäre ohne sie wohl ungeschrieben geblieben. Freilich, sie griff nur episodisch in Wagners Leben ein, aber damals war sie eben sein "guter, lieber, heiliger Engel", der ihn hinaufführte zu der lichten Höhe der Meisterschaft; wer kann sagen, ob Wagners Kunstschaffen ohne Mathilde Wesendonks Liebe und Freundschaft nicht in ein wesentlich anderes Gleis eingebogen wäre? Wie dieser ideale Bund natürlich die aufnahmefähige, künstlerisch fühlende Frau unendlich bereicherte, so schied auch der Meister selber von ihm mit einer Fülle neuer Anregungen und einem ihn glücklich machenden Seelengewinn. Außer im "Tristan" selber spricht sich diese Einheit des Fühlens der beiden unverbundenen Verbundenen aus in der Vertonung der fünf Gedichte Mathildes, von denen "Der Engel", "Träume" und "Schmerzen" die bekanntesten sind. Trotz entgegengesetzter Urteile einzelner wird man diese Poesien als Proben eines starken lyrischen Talents zu bezeichnen und in ihnen einen anderen Beweis von Mathildes künstlerischer Veranlagung zu sehen haben.
Wesendonks kamen in Besitz zahlreicher, ihnen gewidmeter und geschenkter und von ihnen gekaufter Handschriften Wagners. Otto Wesendonk erwarb beispielsweise die geschriebene Partitur des "Rings" für 24 000 Francs. Für das Album Mathildes schrieb Wagner im Juni 1853 die sogenannte, heute merkwürdigerweise selten gespielte "Albumsonate", seine erste, schon "Ring"farben tragende Komposition seit der Beendigung des "Lohengrin". Die meisten der sehr wertvollen Stücke sind später teilweise auf Wagners Wunsch, von ihnen wieder zurückgegeben worden. Ein sehr graziöses Albumblatt im Chopinstile, von Wagner auch "Züricher Vielliebchenwalzer" benannt, ist trotz seiner leichten Spielbarkeit und der Kürze von 48 Takten gleichfalls nicht weiter bekannt geworden; es war Mathildes Schwester Marie gewidmet "vom besten Tänzer aus Sachsen, genannt Richerd, der Walzermacher". So fehlte auch gelegentlich der Scherz nicht in "Wahlheim", wie der "grüne Hügel" in Anlehnung an Goethes "Werther" einmal bezeichnet wird.
"Onkel Wagners Garten", wie die Kinder Wesendonks das "Asyl" nannten, sollte nur zu bald verwaisen. Zwei Jahre gewährte es dem Meister selige Ruhe. Wesendonks selbst verließen ihren prächtigen, nach dem Muster der Villa Albani in Rom erbauten Züricher Wohnsitz im Jahre 1871. Damals hatten die in Zürich lebenden Reichsdeutschen hauptsächlich mit auf Otto Wesendonks Betreiben in der alten Tonhalle ein Siegesfest abgehalten, das von Offizieren der in der Schweiz internierten Bourbakiarmee empfindlich gestört wurde. Sehr verstimmt darüber, wandte sich Wesendonk nach Dresden. Die Villa ging in den Besitz des großindustriellen Rieter-Rotpletz über, dessen verwitwete Schwiegertochter das auf ehemals klösterlichem Grunde liegende, von einem herrlichen Garten umgebene Haus dem Deutschen Kaiser zur Verfügung gestellt hat, der im September bei seinem Besuche der Schweiz es bewohnen wird.
Auch fernerhin bewahrte das Ehepaar Wesendonk dem Meister Richard ein treues Gedenken. Bei den Festspielen in Bayreuth fehlten sie fast nie. Zur Uraufführung des "Tristan" in München 1865 erhielt Mathilde von Wagner die kurze, aber dringende Einladung: "Freundin! Der "Tristan" wird wundervoll. Kommen Sie?? Ihr R. W." Die Mitschöpferin des Werkes kam aber nicht. Erst später, von Dresden aus, reiste Mathilde zu einer Münchner Aufführung. Sie, die die Schöpfung im Entstehen miterlebt hatte, der der meister, selbst am Flügel sitzend, alle seine Gedanken bis ins einzelnste kundgegeben - war nach verbürgten Mitteilungen eines in ihrem Hause viel verkehrenden bedeutenden Dresdner Musikers enttäuscht von der Bühnenwirkung. Sie, die die Orchesterfarben nicht kannte, fand das Werk zu düster und schwermütig.
In ihrem Dresdner Hause auf der Wiener Straße (Nr. 14) wurde viel Musik gemacht. Die besten Künstler der Stadt waren gerngesehene Gäste. Eine wertvolle, ständig vermehrte Privatgalerie zog die bildenden Künstler, der rege Musiksinn Mathildes die Musiker an. Den Sommer verlebten Wesendonks in dem von ihnen 1878 erworbenen Landsitz Traunblick am Traunsee. Nach vorübergehendem Aufenthalt in Kairo nahmen sie 1882 ihren ständigen Aufenthalt in Berlin, auch dort mit Künstlern und Gelehrten regen Verkehr unterhaltend. Am 31. August 1902 ging die edle Frau, nachdem sie schon sechs Jahre Witwe war, in Traunblick zur ewigen Ruhe. Sie hinterließ uns in den an sie gerichteten Briefen und Tagebuchblättern des Meisters, der deren Vernichtung wünschte, ein heiliges Vermächtnis. Da sie, den Wert dieser Briefe wohl erkennend, sich nicht als ausschließliche Besitzerin betrachtete, bestimmte sie diese nach ihrem Tode zur Veröffentlichung, und zwar zugunsten der Bayreuther Stipendienstiftung. Dieses herrliche Zeugnis ihrer helfenden Treue zum Meister setzt ihr in den Herzen aller fühlenden Menschen ein dauerndes Denkmal.

-------------------------------------
* Texthervorhebungen so nicht im Original. (TS) 

 

Bilder:
  1. Vergrößern Brandes, Friedrich (Hrsg.): Neue Zeitschrift für Musik. Organ des Verbandes Deutscher Orchester- und Chorleiter (E. V.). 79. Jahrgang, 1912.  
  2. Ebenda. S. 493. 

Quellen:
  1. externer Link Archive.org

Links:

Bibliografie:
  • Kaiser, Georg: Mathilde Wesendonk. Ein Gedenkblatt zu ihrem zehnjährigen Todestage. In: Brandes, Friedrich (Hrsg.): Neue Zeitschrift für Musik. Organ des Verbandes Deutscher Orchester- und Chorleiter (E. V.). Begegründet 1834 von Robert Schumann. 79. Jahrgang, 1912, Heft 36/37. Verlag von Gebrüder Reinecke, Leipzig September 1912, S. 493 - 496. 


Keine Kommentare: