Eine Erinnerung an Mathilde Wesendonck
⌂ 1934
Zeitschriftenaufsatz
Ein Aufsatz von Otto Richter aus dem Jahre 1934, der in der Zeitschrift für Musik veröffentlicht wurde und seine Dresdner Erinnerungen an Mathilde Wesendonck zum Inhalt hat. [1]
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Briefumschlag zum Manuskript Eine Erinnerung an Mathilde Wesendonk, um 1933.
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Zeitschrift für Musik. 101. Jahrgang, Heft 5, Mai 1934.
Eine Erinnerung an Mathilde Wesendonck.
Von Otto Richter, Dresden.
Im Winter 1881/82 habe ich einmal einen unvergeßlichen Nachmittag und Abend im Dresdner Heim der Wesendoncks* verlebt. Heinrich Schulz-Beuthen, der Franz Liszt nahestehende Dresdner Tondichter (er war mein Theorielehrer), führte mich auf Frau Wesendoncks Veranlassung dort ein. Es sollte, wie schon so oft, an jenem Abende rezitiert und auch ein neues instrumentales Opus von Schulz-Beuthen, den damals in hohem Ansehen Stehenden, aus der Taufe gehoben werden, und dies unter Mitwirkung des Komponisten, meiner Base Elisabeth
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Mit einem glänzenden Diner begann der Festabend. Hierauf folgte nach literarischen Vorträgen und Rezitationen (denen ich damals wohl noch nicht immer zu folgen vermochte) unsere instrumentale Darbietung. Diese trug dem Komponisten und uns Mitwirkenden warmen und herzlichen Beifall ein. Mathilde Wesendonck dankte uns mit warmem Händedruck. Dann spielte Prof. Hermann Scholtz Chopin. Ganz herrlich. Liszt bezeichnete ihn damals als den besten Chopinspieler. Auch Franz Ries, der Unvergeßliche, ließ sich, von unserem "Onkel Scholtz" begleitet, auf seiner Meistergeige hören. Ich glaube, er spielte (mit Scholtz) die G-dur-Sonate von Brahms. Ries entstammte einer alten Musikerfamilie, sein Ahnherr war bekanntlich Franz Anton Ries, der Violinlehrer und Freund Beethovens. In der Folge wurden wir noch durch eine besondere Gabe erquickt: Ein Mitglied der Hofoper (wenn ich nicht irre, war es Frau Klementine v. Schuch-Proska) sang Wagners Wesendonck-Lieder, die damals noch fast unbekannt waren. Eine tiefe Bewegung ging durch die Reihen, die ich mir damals nicht recht erklären konnte. Während dieser Gesänge saß Frau Mathilde, der ja diese 5 Lieder "als intimste Huldigung des großen Meisters" galten, in einer in Dämmer gehüllten Nische, von uns Gästen ungesehen. "Niemand ahnte den Grund dieser tiefen Pietät, die ein Heiligtum in der tiefsten Stille des Herzens vor jeder Entweihung durch offenkundiges Preisgeben wahrte. Außer dem Gemahl, diesem innerlich vornehmen Charakter, konnte niemand dies fast seltsame Gebahren verstehen." Als Gäste wohnten jenem unvergeßlichen Abende, soweit ich mich erinnere, bei: der Kunsthistoriker
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Doch noch einmal zurück zum Eckhause Goethestraße! Was mir an jenem Abende noch im Einzelnen zum Erlebnis wurde, vermag ich heute, nach 52 Jahren, nicht mehr zu sagen. Soviel aber weiß ich, daß unsere gütige Gastgeberin (sie führte uns zwischendurch auch mal in ihr fürstliches, mit blauer Seide ausgeschlagenes Zimmer) wirklich die erlebte Isolde Richard Wagners gewesen ist, "deren vornehm nordischer Weiblichkeit die unantastbare Reinheit ihrer Ehe mit dem herzenstreuen, über allem kleinlichen Argwohn erhabenen Otto Wesendonck eine Selbstverständlichkeit war". Rich. Wagner pries sich und beide Wesendoncks glücklich, daß es "so etwas gab", wie die ungetrübte Züricher Freundschaft dieser drei Menschen. Wie keusch pietätvoll diese herrliche deutsche Frau ihr "hold Geheimnis" wahrte – gleich der Elisabeth des Tannhäusers – das sieht man daran, daß sie von 1858 bis 1900 nie ein Wort über ihren Geistesbund mit Rich. Wagner sprach, bis unrichtige Urteile darüber sie zwangen, die Tagebuchblätter und Briefe zu veröffentlichen, die schon fast in 100. Auflage in den unschätzbar wertvollen Dokumenten vorliegen: "Richard Wagner an Mathilde Wesendonck" (Tagebuchblätter und Briefe 1853 bis 1871, herausgegeben, eingeleitet und erläutert von Wolfgang Golther. Mit einer Notenbeilage: Fünf Gedichte für eine Frauenstimme. Leipzig, Breitkopf & Härtel, 1922).3
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1 Seine Tante von Bissing verkehrte im Hause meines Dresdner Onkels von Beschwitz (meinem damaligen Domizil). Ich sah sie dort zuweilen bei Tisch.
2 Übrigens stand L. Richter kirchlich ähnlich wie H. v. Herzogenberg, Rosegger und Reger. Er war auch mit dem Berliner Oberhofprediger D. Kögel bekannt und vertiefte sich gelegentlich in die protestantische Kirchenzeitung
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3 Mehr über Mathilde Wesendonck in Dresden siehe in "Erinnerungen an Mathilde Wesendonck" von Dr. H. Göring, "Türmer", 1926, Heft 8.
* Texthervorhebungen im Original gesperrt geschrieben. (TS)
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Bilder:
Quellen:
Archive.org
SLUB Dresden [Mscr.Dresd.App.2366]
Links:
Bibliografie:
- Richter, Otto: Eine Erinnerung an Mathilde Wesendonck. Dresden. In: Bosse, Gustav (Hrsg.): Zeitschrift für Musik. Monatsschrift für eine geistige Erneuerung der deutschen Musik. Gegründet 1834 von Robert Schumann. 101. Jahrgang, 1934, I. Halbjahr (Januar mit Juni), Heft 5. Gustav Bosse Verlag, Berlin, Regensburg u. a. Mai 1934, S. 498 - 500.
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