04.02.2013

Wesendonk, Mathilde - 1905

Biographisches Jahrbuch und Deutscher Nekrolog. VII. Band, 1902. Berlin 1905Wesendonk, Mathilde


1905

Nekrolog (Nachruf)


Im Biographischen Jahrbuch und Deutschen Nekrolog, VII. Band für das Jahr 1902 schrieb der Wagner-Kenner Wolfgang Golther im Jahr 1905 einen Nachruf auf Mathilde Wesendonck. [1]

Biographisches Jahrbuch und Deutscher Nekrolog. VII. Band, 1902. Berlin 1905
Biographisches Jahrbuch und Deutscher Nekrolog. VII. Band, 1902. Berlin 1905.


Biographisches Jahrbuch und Deutscher Nekrolog. VII. Band, 1902. Berlin 1905, S. 62
Biographisches Jahrbuch und Deutscher Nekrolog. VII. Band, 1902. Berlin 1905. S. 62.

Wesendonk, Mathilde

Wesendonk, Mathilde, * 23. Dezember 1828 zu Elberfeld, † 31. August 1902 in Traunblick. – M. W. war die Tochter des Kgl. Kommerzienrats Karl Luckemeyer und seiner Frau Johanna geb. Stein. Ihre Erziehung erhielt sie in Düsseldorf, wohin ihre Eltern später verzogen waren, und hernach in Dünkirchen. Am 19. Mai 1848 verheiratete sie sich mit Otto Wesendonk (* 16. März 1815, † 18. November 1896, vergl. Biogr. Jahrbuch 3, 84*). Wesendonk war Teilhaber eines großen Newyorker Seidenhauses, dessen Geschäfte er in Deutschland vertrat. Die Neuvermählten ließen sich zunächst in Düsseldorf nieder. Im Jahre 1850 reisten sie nach Amerika. 1851 kamen sie nach Zürich, wo sie zunächst im Hotel »Baur au lac« Wohnung nahmen. Den Winter verbrachten Wesendonks zuerst einige Male im Süden oder in Paris, den Sommer in Zürich, wo sich Wesendonk endlich auch auf dem »grünen Hügel« in der Enge eine Villa erbaute, die aber erst am 22. August 1857 endgültig bezogen wurde. Ein kleines daneben liegendes Häuschen war von Wesendonk angekauft worden, der Baumeister Zeugherr baute es wohnlich und behaglich um, und Ende April 1857 konnten Richard Wagner und seine Frau, die bisher in den Escherhäusern am sog. Zeltweg gewohnt hatten, ins »Asyl« übersiedeln.
Die persönliche Bekanntschaft Richard Wagners, dessen künstlerische Größe ihnen zuvor in einem Konzert bei Aufführungen einer Beethovenschen Sinfonie sich geoffenbart hatte, machten Wesendonks im Jahre 1852. Frau W. erzählt in ihren Erinnerungen, wie sie ganz unbelehrt, gleichsam wie ein weißes, unbeschriebenes Blatt, nach Zürich kam und welch tiefe Eindrücke sie allmählich durch Wagner gewann.

Fünf Gedichte für eine Frauenstimme mit Pianoforte-Begleitung in Musik gesetzt von Richard Wagner
Fünf Gedichte für eine Frauenstimme mit Pianoforte-Begleitung
in Musik gesetzt von Richard Wagner.
(3) [*]

M. W. ist die Verfasserin der von Wagner im Winter 1857/58 vertonten »fünf Gedichte«. Aus der Musik zu den »Träumen« ward in Venedig 1858/9 die Liebesnacht des zweiten Tristanaufzuges. Und aus dem »Treibhaus« ging die trauerschwere Stimmung des dritten Tristanaufzuges wie die Blüte aus der Knospe auf. Das Verhältnis zu M. W., dessen erhabene Schönheit und Reinheit aus den nunmehr veröffentlichten Briefen vor aller Augen steht, fällt in einen wichtigen Lebensabschnitt des Meisters. Er schreibt im Rückblick auf die Züricher Jahre: »Mir ist recht deutlich, daß ich nie etwas Neues mehr erfinden werde: jene eine höchste Blütezeit hat in mir eine solche Fülle von Keimen getrieben, daß ich jetzt nur immer in meinen Vorrat zurückzugreifen habe, um mit leichter Pflege mir die Blume zu erziehen.« RingTristanParzivalentwurf – und endlich aus der Todessehnsucht des Tristan die das Leben durch Entsagung überwindende, aber nicht verneinende Dichtung der Meistersinger – also Blütenpracht und spätere reifste Lebensfrucht! Frau W. war in jener Zeit die Vertraute seines Herzens und erfuhr alles, was seine Seele bewegte. Auch nach seinem Weggang aus Zürich im August 1858 blieb er mit ihr im regsten Briefwechsel bis zum Dezember 1863. Wie ein milder Engel erschien ihm die Freundin oft in den Nöten und Stürmen des Lebens und einmal nennt er sie auch Elisabeth, womit das Verhältnis aufs zarteste angedeutet wird. Es wäre ganz irrig, in M. W. das Urbild der Isolde zu sehen. Ihrem Wesen fehlt durchaus der leidenschaftlich heroische Zug. Viel eher könnte man in Hans Sachs und Evchen einen Nachklang persönlicher Empfindungen erblicken. Aber auch dieser Vergleich gilt nur sehr allgemein beim Anklang einzelner verwandter Stimmungen zwischen dem Kunstwerk und Leben. Wenn man die Meisterbriefe durchliest, mag man an Goethe und Frau von Stein denken. Und so ist auch M. W. durch Richard Wagner unsterblich geworden.
Im Frühjahr und Sommer 1858 waren die nachbarlichen Beziehungen zu W.s durch die krankhaft überreizte Stimmung Minnas, der Frau Wagners, mehrfach gestört worden. Das Asyl auf dem grünen Hügel war auf die Dauer nicht mehr zu erhalten. Zwischen Frau Minna und Frau W. war es zu Auseinandersetzungen gekommen. Eine Versöhnung war nicht mehr möglich. Würdige und wünschenswerte Beziehungen zum Nachbarhause waren in Minnas Anwesenheit nicht mehr herzustellen. Was schließlich den Meister zwang, das Asyl aufzugeben, hat er selber in einem Brief an seine Schwester Kläre vom 20. August 1858 ausgesprochen, »um Aufklärung zu geben, wo sie nötig sein sollten.«
Wagner ging im August 1858 über Genf nach Venedig, um den zweiten Aufzug des Tristan auszuführen. Im April 1859 nahm er in Luzern im Schweizerhof Wohnung, um den dritten Aufzug auszuarbeiten. Der persönliche und briefliche Verkehr mit W.s wurde aufs lebhafteste gepflegt. Im September reiste Wagner zu mehr als zweijährigem Aufenthalte nach Paris. Von hier gingen die ausführlichsten Berichte an die Freundin. Otto W. reiste zum Tannhäuser im März 1861 nach Paris. Ins Asyl auf dem grünen Hügel ist Wagner nicht mehr eingezogen. Kurz vor der entscheidenden Wendung im März und April 1864 weilte er bei Frau Wille auf Mariafeld, nicht auf dem grünen Hügel.
Die weiteren Lebensereignisse von M. W. sind rasch erzählt. 1872 verließen W.s den grünen Hügel und zogen nach Dresden. Im Winter 1881-82 weilten sie in Kairo und siedelten im Herbst 1882 nach Berlin (seit Frühjahr 1887 in den Zelten 21) über. 1878 hatte W. den Landsitz Traunblick am Traunsee im Salzkammergut erworben, wo gewöhnlich Sommeraufenthalt genommen wurde. In Traunblick starb Frau Mathilde, seit 18. November 1896 Witwe, ganz plötzlich nach nur achtstündiger Krankheit am 31. August 1902, Mittags 1 Uhr. Die freundschaftlichen Beziehungen zu Richard Wagner und seinem Hause waren stets aufrecht erhalten geblieben.
M. W. schrieb Gedichte, Märchen, Dramen, die teilweise in Privatdrucken erschienen. Ich nenne hier: Gedichte, Zürich o. J.; Gedichte, Leipzig 1874; Märchen und Märchenspiele, Zürich 1864 und Berlin 1900; Naturmythen, Zürich 1865; Der Baldurmythus, Dresden 1875; Gudrun, Zürich 1868; Edith oder die Schlacht bei Hastings, Stuttgart 1872; Friedrich der Große, Berlin 1872; Kalypso, ein Vorspiel, Dresden o. J.; Odysseus, Dresden 1878; Alkestis, Leipzig 1881 und 1898. Keine selbständige Gestaltungskraft, wohl aber feines poetisches Nachempfinden tritt in allen diesen Schriften hervor.

Wolfgang Golther.

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Vgl. Richard Wagner an Mathilde W., Tagebuchblätter und Briefe 1853 – 71, Berlin 1904. Briefe Richard Wagners an Otto W., Charlottenburg 1898.
[] Anm. von TS. 
* Hervorhebungen und Illustrationen durch TS.

 

Totenliste 1902. S. 473 ff. / S. 124

Wesendonk, Mathilde v., geb. Luckemeyer, Schriftstellerin u. Dichterin, Freundin des Komponisten Richard Wagner; * Elberfeld 23. XII. 1828; † Traunblick am Traunsee 31. VIII. – BJ VII, 62 (W. Golther); Pataky, Lexikon deutscher Frauen der Feder 2, 426; Brümmer 5 4, 324; BZ 11, 323. 12, 328. 13, 317 (Zeit 1902 Nr. 416: R. Wallaschek; Die Musik 1902, II, 57: E. Kloß; Deutsche Revue 1903 Febr. 239: M. v. Bunsen; Brandenburgia 11, 264); Monatsheft für Musikgesch. 35, 128 (Lüstner, mit L).

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BJ = Biographisches Jahrbuch
Brümmer = F. Brümmer, Lexikon der deutschen Dichter und Prosaisten des neunzehnten Jahrhunderts
BZ = Dietrich, Bibliographie der Zeitschriftenliteratur
L = weitere Literatur 


 

Bilder:
  1. Vergrößern Bettelheim, Anton (Hrsg.): Biographisches Jahrbuch und Deutscher Nekrolog. VII. Band, vom 1. Januar bis 31. Dezember 1902. Verlag von Georg Reimer, Berlin 1905. 
  2. Ebenda. S. 62. 
  3. Ausschnitt: Fünf Gedichte für eine Frauenstimme mit Pianoforte-Begleitung in Musik gesetzt von Richard Wagner. B. Schott's Söhne, Mainz 1875 (17049). 

Quellen:
  1. Golther, Wolfgang: Wesendonk, Mathilde. In: Bettelheim, Anton (Hrsg.): Biographisches Jahrbuch und Deutscher Nekrolog. VII. Band, vom 1. Januar bis 31. Dezember 1902. Verlag von Georg Reimer, Berlin 1905, S. 62 – 64. 

Bibliografie:
  • Golther, Wolfgang: Wesendonk, Mathilde. In: Bettelheim, Anton (Hrsg.): Biographisches Jahrbuch und Deutscher Nekrolog. Unter ständiger Mitwirkung von ... Herausgegeben von Anton Bettelheim. VII. Band, vom 1. Januar bis 31. Dezember 1902, mit dem Bildnis von Rudolf Virchow in Heliogravure. Verlag von Georg Reimer, Berlin 1905, S. 62 – 64. 


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