Hernieder sank der heilige Gral
⌂ 1853
Gedicht
Ein Gedicht von Mathilde Wesendonck aus dem Jahre 1853, welches ihr zugeschrieben wird. Es wurde im ersten Band von Max Fehr, Richard Wagners Schweizer Zeit veröffentlicht.
Am 18., 20. und 22. Mai 1853 fanden drei Konzerte im Aktientheater in Zürich statt, bei denen ausschließlich Wagners Werke gespielt wurden. Diese Konzerte sind gewissermaßen die ersten Wagner-Festspiele, das Züricher Musikfest im Aktientheater. Mit diesen Musteraufführungen seiner Werke setzte er erstmals alle wichtigen Elemente seiner Festspielidee um.
Diese Aufführungen mit Festcharakter wurden durch Anteilscheine finanziert, was genauer heißt, dass acht vermögende Männer aus Zürich, darunter Otto Wesendonck, für die Festwoche bürgten. Am Ende wurde das Defizit von fast 2.000 Franken von ihnen beglichen.
In der ersten Maiwoche 1853 verfasste Wagner zunächst das 16-seitige Programm mit einer Vorbemerkung und Erläuterungen zu den einzelnen Werken. Das Programm des Festes lautete:
- Friedensmarsch aus „Rienzi“.
- „Der fliegende Holländer“:
Ballade der Senta
Lied norwegischer Matrosen
„Des Holländers Seefahrt“ (Ouvertüre). - „Tannhäuser“:
Festlicher Einzug der Gäste auf Wartburg, mit Chor „Freudig begrüßen wir die Halle“.
Tannhäusers Bußfahrt (= Instrumentaleinleitung zum III. Akt) und Gesang der heimkehrenden Pilger.
„Der Venusberg“ (Ouvertüre) - „Lohengrin“:
„Der heilige Gral“ (Vorspiel).
Männerszene und Brautzug.
Hochzeitsmusik (= Instrumentaleinleitung zum III. Akt) und Brautlied.
Die Eidgenössische Zeitung schrieb darüber nach den ersten Tag:
Wie die Fürsten ihre stolzen Hoffeste feiern, so haben wir gestern ein Musikfest gefeiert, um das uns wegen seines Glanzes und Gehaltes alle Residenzstädte Europas hätten beneiden können. Auch wir haben einen König in unserer Mit-te, der uns mit seiner Huld erfreut, sein Reich aber ist die Kunst.
Der dritte Konzerttag - es war der 22. Mai 1853, dem 40. Geburtstag von Richard Wagner - steigerte sich zu einem absoluten Höhepunkt. Mit dem Verklingen der letzten Töne jubelte das ganze Haus und es flogen Kränze und Bouquets von allen Seiten. Die Musiker spielten einen Tusch.
Ein Sänger trat vor und rezitierte ein Gedicht, welches das Wirken des hochbegabten Mannes würdig feierte, und die schönste der Frauen überreichte ihm den Lorbeerkranz, den der bescheidene Meister sich nicht auf die Stirne drücken ließ. Der Rezitator war Wilhelm Niedermann-Studer, Sattlermeister und Mitgründer des Sängervereins Harmonie, ein sehr begabter Deklamator.
Dieses Gedicht an Wagner befindet sich (1934) im Nachlass der 1912 verstorbenen Frau Emilie Heim, wird aber Mathilde Wesendonck zugeschrieben.
A n R i c h a r d W a g n e r
nach seinem 3. Konzerte in Zürich
an seinem 40. Geburtstage
den 22. Mai 1853
vorgetragen von W. Niedermann.
Hernieder sank der heilige Gral,
Ergoß in das Leben den ewigen Quell,
Von Herz zu Herzen und Well auf Well,
Und Gottes Kraft beseligt die Welt.
Die Erde trinkt in tiefem Zug,
Und was sie zu wildem Sturme trieb,
Befreit in ihr die göttliche Lieb,
Und endlos blüht die schöne Welt.
Und ewig blüht mit ihr das Herz.
Und ewig frei der Geist sich ringt,
Und alle Welt ein Kranz umschlingt,
Besiegelt von der Liebe Kuß.
Den tiefsten Zug hast Du getan,
Du freier Mann mit Leier und Schwert.
Des heiligen Kampfes hast Du begehrt,
Und hehr des Friedens Werk vollbracht.
Du greifst mit Deiner kühnen Hand
In alle Saiten der Natur,
Und auf der Töne lichter Spur
Steigt höchste Wahrheit Dir empor.
Dir ist Natur und Geist Akkord,
In Deinem Reich der Harmonie
Trennt Wahrheit sich vom Leben nie,
Wird reinster Tugend freie Tat.
So blüht aus Deiner Seele Grund
Zu Tag der schönste Maienkranz;
Des Frühlings Wehn, sein Duft, sein Glanz
Strömt warm und hell aus Deinem Lied.
Die Hoffnung, so begraben lag,
Du trägst sie lebensstark voran,
Daß Schritt um Schritt auf Deiner Bahn,
Der Freiheit Siegesjubel schallt.
Ein Gott die Leier Dir beschied.
O, greif hinein mit frischem Mut
Und laß des Herzens tiefste Glut
Zum Flammenlichte auferstehn!
Es faßt die stille Alpenwelt
Des großen Meisters ernsten Chor,
Sie trägt zum Himmel ihn empor,
Im Echo durch die ganze Welt.
Es steht um Dich ein freies Volk;
Trieb Dich der Sturm vom Vaterort,
Dir blieb fortan der beste Hort:
Der freien Männer treues Herz!
Gepriesen sei die heilge Kunst,
Die frei ins volle Leben dringt
Und jubelnd sich zum Höchsten schwingt,
Mit allem, was die Brust empfand!
Gespriesen sei des Meisters Kraft,
Die alle Herzen sich erschließt,
Ins ärmste höchste Wonne gießt,
Dem ganzen Volk ein Segensborn.
Es winkt ein klares Morgenrot.
In dieses jungen Tages Lauf
Geht nun der Schönheit Blüte auf,
Und d i r gehört der Ehrenkranz. [1]
Bilder:
- Stockar-Escher, Clementine: Richard Wagner. Aquarell, 1853. Es entstand wenige Monate vor Richard Wagners 40. Geburtstag. Nationalarchiv der Richard-Wagner-Stiftung Bayreuth.
Quellen:
- Wesendonck, Mathilde: An Richard Wagner nach seinem 3. Konzerte in Zürich. In: Fehr, Max: Richard Wagners Schweizer Zeit. 2 Bände, Erster Band: 1849–1855 / Zweiter Band: 1855 bis 1872/1883. Verlag H. R. Sauerländer & Co., Aarau und Leipzig / Frankfurt am Main 1934/1953, Erster Band, S. 231 - 233.
Bibliografie:
- Fehr, Max: Die Maikonzerte und ihr Widerhall. In: Fehr, Max: Richard Wagners Schweizer Zeit. 2 Bände, Erster Band: 1849–1855 / Zweiter Band: 1855 bis 1872/1883. Verlag H. R. Sauerländer & Co., Aarau und Leipzig / Frankfurt am Main 1934/1953, Erster Band, S. 223 - 237.
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