06.08.2010

Fünf Gedichte

Caritas. Album von Original-Beiträgen Dresdner Dichter und Schriftsteller. Dresden 1878Fünf Gedichte


⌂ 1878

Gedichtesammlung


Die Gedichtesammlung war ein Beitrag Mathilde Wesendoncks für die Buchausgabe Caritas - Album von Original-Beiträgen Dresdner Dichter und Schriftsteller.


Während ihrer Dresdener Zeit beteiligte sie sich 1878 mit fünf Gedichten an einer Buchausgabe „unter dem Protectorate Ihrer Majestät der Königin externer Wiki-Link Carola von Sachsen zum Besten der deutschen Heilstätte zu Loschwitz“, Caritas, ein Album von Original-Beiträgen Dresdner Dichter und Schriftsteller. Damit unterstützte sie die Tätigkeit dieser karitativen Rot-Kreuz-Einrichtung, die von der Sorbin externer Wiki-Link Marie Simon (* 26.08.1824, Doberschau - † 21.02.1877, Loschwitz) 1872 begründet wurde. Sie war Directorialabgeordnete des externer Wiki-Link Albert-Vereins (Aufsicht über die Krankenpflegerinnen und Leitung der Armenkrankenpflege) und Ordensdame des externer Wiki-Link Sidonien-Ordens (von König externer Wiki-Link Johann I. von Sachsen).

Heilstätte zu Loschwitz Carola - Königin von Sachsen Caritas - Album von Original-Beiträgen
Titelseiten des Buches. [3]
Heilstätte zu Loschwitz. Entw.: Prof. G. Graff, H. Bürkner F. C. T.
Carola - Königin von Sachsen. Zeichnung: A. Diethe, Foto: F. & O. Brockmann's Nachf.
Caritas - Album von Original-Beiträgen. Dresden 1878
Vergrößerung
 
Carola, Prinzessin von Wasa (Karoline Friederike Franziska Stephanie Amelie Cecilie) (* 05.08.1833, Schloss Schönbrunn - † 15.12.1907, Dresden), geb. Prinzessin Wasa-Holstein-Gottorp war als Gemahlin des Königs externer Wiki-Link Albert I. (* 23.04.1828, Dresden - † 19.06.1902, Sibyllenort) die letzte Königin von Sachsen.

Caritas - das heißt Nächstenliebe bzw. Wohltätigkeit. Nächstenliebe ist Kern der christlichen Botschaft und nach Paulus die größte unter den Tugenden.

Dieser Band beinhaltet Beiträge von Friedrich Bodenstedt, Friedrich von Criegern, Franz Koppel-Ellfeld, M. M. von Weber, Victor von Strauß, J. von Unger, Rudolph Genée, Emil Bürde, E. Klee, Julius Pabst, Hieronymus Lorm, Caroline Pierson, Otto Banck, Agnes Kayser-Langerhannß, Edward Stanhope Pearson, M. von Biedermann, Hermann Hettner, Mathilde Wesendonck, Albert Moeser, Professor Friedrich Max Müller, Adolph Stern, Robert Prölß, W. von Kotzebue, Ludwig Hartmann, G. W. von Biedermann, Heinrich Wäntig, Murad Efendi, Robert Waldmüller-Duboc, Gustav Kühne, Julius Grosse.

Mathilde Wesendonck: Gedicht I. In: Caritas. Dresden 1878
Wesendonck, Mathilde: Gedicht I. In: Caritas. Dresden 1878. [3]

Die folgenden fünf Gedichte wurden in dem o. g. Band in erster [1] und zweiter [2] Auflage veröffentlicht.
Da es Unterschiede zwischen dem Autografen und den beiden Auflagen gibt, habe ich alle drei Versionen hier aufgeführt. 
Das erste Gedicht trägt im Autografen links unten die folgende Bemerkung [4]:
Auf dem Wege mit
Karl zur Universität
       Bonn.
       1876.


I.

Das Menschenherz gleicht einer Knospe,
Erschlossen von des Lichtes Strahl,
Und Blüthenkeimen, lenzentsprossen,
Sein Sehnen, Hoffen allzumal!

Drum steht es vor dem kargen Leben
Ein fordernd und begehrlich Kind,
Und schlägt der Weisheit gold'ne Lehren,
Wie Kinder pflegen, in den Wind!

Und ob Erfahrung Stund' um Stunde
Sich heiser von „entbehren“ spricht,
Es widerspricht der schnöden Kunde
Mit jedem Pulsschlag, bis es bricht!

Ob Weise reden von Verneinen,
Das Herz bejaht, so lang' es schlägt,
Und um des Busens herbstes Weinen
Es seinen Kranz voll Hoffen legt!

Ob bleiche Lippen, müde Waller
Auch singen des Entsagens Preis,
Das Herz, es greift nach Wonn' und Schmerzen
Und pflückt des Lebens grünes Reis!

O Göttersitz der jungen Triebe,
Was thut's, ob Alles muß vergeh'n?
Der letzte Herzensschlag ist Liebe
Und Lieb' und Lenz mit ihm ersteh'n! [1]
* * *
I.

Das Menschenherz gleicht einer Knospe,
Erschlossen von des Lichtes Strahl; —
Und Blüthenkeimen, lenzentsprossen,
Sein Sehnen, Hoffen allzumal!

D'rum steht es vor dem kargen Leben,
Ein fordernd' und begehrlich' Kind, —
Und schlägt der Weisheit gold'ne Lehren,
Wie Kinder pflegen, in den Wind!

Und ob Erfahrung Stund' um Stunde
Sich heiser von „Entbehren“ spricht: —
Es widerstrebt der schnöden Kunde
Mit jedem Pulsschlag, bis es bricht!

Ob Weise reden von „Verneinen“,
Das Herz bejaht, so lang' es schlägt; —
Und um des Busens herbstes Weinen
Es seinen Kranz voll Hoffen legt!

Ob bleiche Lippen, müde Waller
Auch singen des Entsagens Preis: —
Das Herz, es greift nach Wonn' und Schmerzen
Und pflückt des Lebens grünes Reis!

O Göttersitz der jungen Triebe,
Was thut's, ob Alles muß vergeh'n?
Der letzte Herzensschlag ist Liebe; —
Und Lieb' und Lenz mit ihm ersteh'n! [2]

* * *
I.

Das Menschen Herz gleicht einer Knospe
Erschlossen an des Lichtes Strahl,
Und Blüthenkeimen, lenzentsprossen,
Sein Sehnen, Hoffen allzumal!

Drum steht es vor dem kargen Leben
Ein fordernd u. begehrlich' Kind,
Und schlägt der Weisheit gold'ne Lehren
Wie Kinder pflegen, in den Wind.

Und ob Erfahrung Stund' um Stunde,
Sich heiser von „entbehren“ spricht,
Es widerspricht der schnöden Kunde
Mit jedem Pulsschlag – bis es bricht.

Ob Weise reden von „Verneinen“,
Das Herz bejaht, so lang' es schlägt,
Und um des Busen's herbstes Weinen
Es seinen Kranz voll Hoffen legt.

Ob bleiche Lippen, müde Waller,
Auch singen der Entsagung Preis,
Das Herz es greift nach Wonn' u. Schmerzen
Und pflückt des Leben's grünes Reis.

O Göttersitz der Jugend Triebe,
Was thut's, ob Alles muß vergeh'n?
Der letzte Herzensschlag ist Liebe
Und Lieb' u. Lenz mit ihm ersteh'n! — [4]


II.

Ein Drängen, Treiben, Grünen, Blühen,
Ein Jauchzen, Bangen, Wonn'erglühen,
Dem Herzen wie dem Lenz gemein;
Ein Wallen, Fluthen, Ueberschäumen,
Ein Stürmen, Rasten oder Träumen,
Bald Regensturm, bald Sonnenschein,
Was mag da Herz, was Lenz wohl sein?
Die Sonne weckt den Lenz der Erde,
Die Liebe weckt des Herzens Mai,
Wer kündet, wo ein sel'ger „Werde“
Und wo die schön're Sonne sei? [1]
* * * 
II.

Ein Drängen, Treiben, Grünen, Blühen,
Ein Jauchzen, Bangen, Wonn'erglühen,
Dem Herzen wie dem Lenz gemein;
Ein Wallen, Fluthen, Ueberschäumen,
Ein Stürmen, Rasten oder Träumen,
Bald Regensturm, bald Sonnenschein; —
Was mag da Herz, was Lenz wohl sein?
Die Sonne weckt den Lenz der Erde; —
Die Liebe weckt des Herzens Mai; —
Wer kündet, wo ein sel'ger „Werde“
Und wo die schön're Sonne sei? [2]
 * * *
II.

Ein Drängen, Treiben, Grünen, Blühen,
Ein Jauchzen, Bangen, Wonn' Erglühen,
Dem Herzen wie dem Lenz gemein;
Ein Wallen, Fluthen, Ueberschäumen,
Ein Stürmen, Rasten oder Träumen,
Bald Regensturm, bald Sonnenschein,
Was mag da Herz, was Lenz wohl sein?
Die Sonne weckt den Lenz der Erde,
Die Liebe weckt des Herzen's Mai,
Wer kündet, wo ein sel'ger „Werde“
Und wo die schön're Sonne sei? — [4]
 

III.

O Lenzesgrün, Du Augenwonne,
O Jugendblüh'n, Du Herzenssonne,
So jung und frisch und hoffnungsschön,
Das Auge kann nicht satt sich sehn!

Drum hat der Lenz in tausend Knospen
Die Blumenaugen aufgemacht
Und schaut verwundert auf das Prangen
Der morgenschönen Maienpracht!

Ein Jüngling sinnend steht am Hage,
Blickt staunend in des Werdens Luft,
Auf seinen Lippen eine Frage
Und tausend Wünsche in der Brust!

Wer giebt ihm Antwort: Horch! Ein Klang
Von sehnsuchtsvollen Flötentönen
Erschallt der Nachtigall Gesang,
Verzitternd sanft in linder Luft,
Und Harmonie des Ewigschönen
Beseelt die Welt von Farb' und Duft!
Die Antwort auf des jungen Herzens Fragen?
Die Nachtigall im Hag hat sie geschlagen! [1]
* * * 
III.

O Lenzesgrün, du Augenwonne,
O Jugendblüh'n, Du Herzenssonne,
So jung und frisch und hoffnungsschön,
Das Auge kann nicht satt sich seh'n! —

D'rum hat der Lenz in tausend Knospen
Die Blumenaugen aufgemacht;
Und schaut verwundert auf das Prangen
Der morgenschönen Maienpracht! —

Ein Jüngling sinnend steht am Hage,
Blickt staunend in des Werdens Luft,
Auf seinen Lippen eine Frage
Und tausend Wünsche in der Brust!

Wer giebt ihm Antwort? Horch! Ein Klang
Von sehnsuchtsvollen Flötentönen,
Erschallt der Nachtigall Gesang,
Verzitternd sanft in linder Luft; —
Und Harmonie des Ewigschönen
Beseelt die Welt von Farb' und Duft!
Die Antwort auf des jungen Herzens Fragen? —
Die Nachtigall im Hag hat sie geschlagen! [2]
* * *
III.

O Lenzes Grün, Du Augen Wonne,
O Jugend Blüh'n, Du Herzens Sonne,
So jung u. frisch u. hoffnungsschön,
Das Auge mag nicht satt sich seh'n!

Drum hat der Lenz in tausend Knospen
Die Blumen Augen aufgemacht,
Und schaut verwundert auf das Prangen
Der Morgenschönen Maienpracht.

Ein Jüngling sinnend steht am Hage,
Blickt staunend auf des Werden's Luft,
Auf seinen Lippen eine Frage
Und tausend Wünsche in der Brust!

Wer giebt ihm Antwort? Horch! Ein Klang
Von schwermuthsvollen Flöten Tönen
Erschallt der Nachtigall Gesang
Verzitternd sanft in linder Luft,

Und Harmonie des Ewig Schönen
Beselt die Welt von Farb' u. Duft!
Die Antwort auf des jungen Herzen's Fragen?
Die Nachtigall im Hag hat sie geschlagen! — [4]
 

IV.

Die Nachtigall hat sich zu Tod gesungen,
Vor Liebesweh ist ihr die Brust zersprungen
Und sterbend fiel sie in die Blüthen nieder,
Die Erde birgt ihr unscheinbar Gefieder!
Wer aber hat das junge Grün gekränkt?
Die ungestüme Sonne hat's versengt!
Die Blumen stehen mit gebleichten Wangen,
Um's junge Menschenherz ergreift mich Bangen!
Getrost! In Fieberfrost und Wonneschauern
Wird es wohl manchen Frühling überdauern,
Es lernt der Sonne ungestümen Brand ertragen
Und neuem schönerm Lenz entgegenschlagen! [1]
* * * 
IV.

Die Nachtigall hat sich zu Tod gesungen:
Vor Liebesweh ist ihr die Brust zersprungen
Und sterbend fiel sie in die Blüthen nieder;
Die Erde birgt ihr unscheinbar Gefieder! —
Wer aber hat das junge Grün gekränkt? —
Die ungestüme Sonne hat's versengt! —
Die Blumen stehen mit gebleichten Wangen. —
Um's junge Menschenherz ergreift mich Bangen!
Getrost! In Fieberfrost und Wonneschauern
Wird es wohl manchen Frühling überdauern;
Es lernt der Sonne ungestümen Brand ertragen
Und neuem, schöner'm Lenz entgegenschlagen! — [2]
* * *
IV.

Die Nachtigall hat sich zu Tod gesungen,
Vor Liebesweh ist ihr die Brust gesprungen
Und sterbend fiel sie in die Blüthen nieder
Die Erde birgt ihr unscheinbar' Gefieder!
Was aber hat das junge Grün gekränkt?
Die ungestüme Sonne hat's versengt.
Die Blumen all', steh'n mit gebleichten Wangen,
Um's junge Menschen Herz ergreift mich Bangen!
Getrost! In Fieberfrost u. Wonneschauern
Wird es wohl manchen Frühling überdauern,
Es lernt der Sonne ungestümen Brand ertragen
Und Neuem, schöner'm Lenz entgegen schlagen! — [4]
 

V.

Viel Lenze kommen und Lenze vergeh'n,
Viel Blumen blühen und wieder verweh'n.
Wer zählt die Wünsche unerfüllt?
Wer mißt das Sehnen ungestillt?
Im Herzen der Erde die Flamme glüht,
Im Herzen der Menschheit die Liebe blüht,
Es harrt und hofft und liebt und bricht —
Das Herz der Menschheit altert nicht!
Verrathen, betrogen, zum Tode wund,
In Schmerzen erzogen — doch immer gesund!
Es schlägt im Palast an des Kaisers Ohr,
Es schlägt im Busen, der selbst sich verlor!
Das ist der Verjüngung unsterblicher Born,
Aus dem die Gedanken, die ewigen, fließen,
Das ist der unentweihte Grund,
Auf dem die großen Thaten sprießen!
Und wenn Dich das Leben arm bedünkt
Und schal Dir erscheint des Daseins Luft,
So wirf Dich schluchzend an seine Brust:
Am Herzen der Menschheit, da wirst Du verjüngt! [1]
* * * 
V.

Viel Lenze kommen — und Lenze vergeh'n; —
Viel Blumen blühen — und wieder vergeh'n. —
Wer zählt die Wünsche unerfüllt?
Wer mißt das Sehnen ungestillt?
Im Herzen der Erde die Flamme glüht; —
Im Herzen der Menschheit die Liebe blüht; —
Es harrt und hofft und liebt und bricht —
Das Herz der Menschheit altert nicht!
Verrathen, betrogen, zum Tode wund,
In Schmerzen erzogen — doch immer gesund!
Es schlägt im Palast an des Kaisers Ohr;
Es schlägt im Busen, der selbst sich verlor!
Das ist der Verjüngung unsterblicher Born,
Aus dem die Gedanken, die ewigen, fließen; —
Das ist der unentweihte Grund,
Auf dem die großen Thaten sprießen! —
Und wenn Dich das Leben arm bedünkt,
Und schal Dir erscheint des Daseins Luft,
So wirf Dich schluchzend an seine Brust:
Am Herzen der Menschheit, da wirst Du verjüngt! [2]
* * *
V.

Viel Lenze kommen und Lenze vergeh'n,
Viel Blumen blühen und wieder verweh'n,
Wer zählt die Wünsche unerfüllt?
Wer mißt das Sehnen ungestillt?
Im Herzen der Erde die Flamme glüht,
Im Herzen der Menschheit die Liebe blüht,
Es harrt und hofft und liebt und bricht,
Das Herz der Menschheit altert nicht!
Verrathen, betrogen, zum Tode wund,
In Schmerzen erzogen — doch immer gesund!
Es schlägt im Palast an des Kaiser's Ohr,
Es schlägt im Busen, Der selbst sich verlor.
Das ist der Verjüngung unsterblicher Born,
Aus dem die Gedanken, die Ewigen, fließen,
Das ist der unentweihte Grund,
Auf Dem die großen Thaten sprießen!
Und wenn Dich das Leben arm bedünkt,
Und schal Dir erscheint des Daseins Luft,
So wirf' Dich schluchzend an seine Brust:
Am Herzen Der Menschheit wirst Du verjüngt! — [4]
  

Bilder:
  1. Vergrößern Caritas. Album von Original-Beiträgen Dresdner Dichter und Schriftsteller. Zweite Auflage, Dresden 1878.  

Quellen:
  1. Caritas. Album von Original-Beiträgen Dresdner Dichter und Schriftsteller. Erste Auflage, Dresden 1878, S. 177 - 180.
  2. Caritas. Album von Original-Beiträgen Dresdner Dichter und Schriftsteller. Zweite Auflage, Dresden 1878, S. 177 - 180.
  3. Ebenda, S. I, 177. 
  4. Stadtarchiv Zürich VII. 84. 2. II. A. Manuskripte. 

Links:
 
Bibliografie:
  • Wesendonck, Mathilde: Gedichte. In: Criegern, Friedrich von (Hrsg.): Caritas. Album von Original-Beiträgen Dresdner Dichter und Schriftsteller. Stiftungs-Vorstand der Deutschen Heilstätte zu Loschwitz durch den Vorsitzenden Friedrich von Criegern. Verlag von E. Pierson's Buchhandlung, Dresden 1878. V, 369 S., mit 3 montierten Foto-Tafeln und Holzstich-Vignetten, Druck W. Drugulin, Leipzig, S. 177 - 180. 


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