Fünf Gedichte
⌂ 1878
Gedichtesammlung
Die Gedichtesammlung war ein Beitrag Mathilde Wesendoncks für die Buchausgabe Caritas - Album von Original-Beiträgen Dresdner Dichter und Schriftsteller.
Titelseiten des Buches. [3]
Heilstätte zu Loschwitz. Entw.: Prof. G. Graff, H. Bürkner F. C. T.
Carola - Königin von Sachsen. Zeichnung: A. Diethe, Foto: F. & O. Brockmann's Nachf.
Caritas - Album von Original-Beiträgen. Dresden 1878
Heilstätte zu Loschwitz. Entw.: Prof. G. Graff, H. Bürkner F. C. T.
Carola - Königin von Sachsen. Zeichnung: A. Diethe, Foto: F. & O. Brockmann's Nachf.
Caritas - Album von Original-Beiträgen. Dresden 1878
Carola, Prinzessin von Wasa (Karoline Friederike Franziska Stephanie Amelie Cecilie) (* 05.08.1833, Schloss Schönbrunn - † 15.12.1907, Dresden), geb. Prinzessin Wasa-Holstein-Gottorp war als Gemahlin des Königs Albert I. (* 23.04.1828, Dresden - † 19.06.1902, Sibyllenort) die letzte Königin von Sachsen.
Caritas - das heißt Nächstenliebe bzw. Wohltätigkeit. Nächstenliebe ist Kern der christlichen Botschaft und nach Paulus die größte unter den Tugenden.
Dieser Band beinhaltet Beiträge von Friedrich Bodenstedt, Friedrich von Criegern, Franz Koppel-Ellfeld, M. M. von Weber, Victor von Strauß, J. von Unger, Rudolph Genée, Emil Bürde, E. Klee, Julius Pabst, Hieronymus Lorm, Caroline Pierson, Otto Banck, Agnes Kayser-Langerhannß, Edward Stanhope Pearson, M. von Biedermann, Hermann Hettner, Mathilde Wesendonck, Albert Moeser, Professor Friedrich Max Müller, Adolph Stern, Robert Prölß, W. von Kotzebue, Ludwig Hartmann, G. W. von Biedermann, Heinrich Wäntig, Murad Efendi, Robert Waldmüller-Duboc, Gustav Kühne, Julius Grosse.
Wesendonck, Mathilde: Gedicht I. In: Caritas. Dresden 1878. [3]
Die folgenden fünf Gedichte wurden in dem o. g. Band in erster [1] und zweiter [2] Auflage veröffentlicht.
Da es Unterschiede zwischen dem Autografen und den beiden Auflagen gibt, habe ich alle drei Versionen hier aufgeführt.
Das erste Gedicht trägt im Autografen links unten die folgende Bemerkung [4]:
Auf dem Wege mitKarl zur UniversitätBonn.1876.
I.Das Menschenherz gleicht einer Knospe,Erschlossen von des Lichtes Strahl,Und Blüthenkeimen, lenzentsprossen,Sein Sehnen, Hoffen allzumal!Drum steht es vor dem kargen LebenEin fordernd und begehrlich Kind,Und schlägt der Weisheit gold'ne Lehren,Wie Kinder pflegen, in den Wind!Und ob Erfahrung Stund' um StundeSich heiser von „entbehren“ spricht,Es widerspricht der schnöden KundeMit jedem Pulsschlag, bis es bricht!Ob Weise reden von Verneinen,Das Herz bejaht, so lang' es schlägt,Und um des Busens herbstes WeinenEs seinen Kranz voll Hoffen legt!Ob bleiche Lippen, müde WallerAuch singen des Entsagens Preis,Das Herz, es greift nach Wonn' und SchmerzenUnd pflückt des Lebens grünes Reis!O Göttersitz der jungen Triebe,Was thut's, ob Alles muß vergeh'n?Der letzte Herzensschlag ist LiebeUnd Lieb' und Lenz mit ihm ersteh'n! [1]
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I.Das Menschenherz gleicht einer Knospe,Erschlossen von des Lichtes Strahl; —Und Blüthenkeimen, lenzentsprossen,Sein Sehnen, Hoffen allzumal!D'rum steht es vor dem kargen Leben,Ein fordernd' und begehrlich' Kind, —Und schlägt der Weisheit gold'ne Lehren,Wie Kinder pflegen, in den Wind!Und ob Erfahrung Stund' um StundeSich heiser von „Entbehren“ spricht: —Es widerstrebt der schnöden KundeMit jedem Pulsschlag, bis es bricht!Ob Weise reden von „Verneinen“,Das Herz bejaht, so lang' es schlägt; —Und um des Busens herbstes WeinenEs seinen Kranz voll Hoffen legt!Ob bleiche Lippen, müde WallerAuch singen des Entsagens Preis: —Das Herz, es greift nach Wonn' und SchmerzenUnd pflückt des Lebens grünes Reis!O Göttersitz der jungen Triebe,Was thut's, ob Alles muß vergeh'n?Der letzte Herzensschlag ist Liebe; —Und Lieb' und Lenz mit ihm ersteh'n! [2]
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I.Das Menschen Herz gleicht einer KnospeErschlossen an des Lichtes Strahl,Und Blüthenkeimen, lenzentsprossen,Sein Sehnen, Hoffen allzumal!Drum steht es vor dem kargen LebenEin fordernd u. begehrlich' Kind,Und schlägt der Weisheit gold'ne LehrenWie Kinder pflegen, in den Wind.Und ob Erfahrung Stund' um Stunde,Sich heiser von „entbehren“ spricht,Es widerspricht der schnöden KundeMit jedem Pulsschlag – bis es bricht.Ob Weise reden von „Verneinen“,Das Herz bejaht, so lang' es schlägt,Und um des Busen's herbstes WeinenEs seinen Kranz voll Hoffen legt.Ob bleiche Lippen, müde Waller,Auch singen der Entsagung Preis,Das Herz es greift nach Wonn' u. SchmerzenUnd pflückt des Leben's grünes Reis.O Göttersitz der Jugend Triebe,Was thut's, ob Alles muß vergeh'n?Der letzte Herzensschlag ist LiebeUnd Lieb' u. Lenz mit ihm ersteh'n! — [4]
II.Ein Drängen, Treiben, Grünen, Blühen,Ein Jauchzen, Bangen, Wonn'erglühen,Dem Herzen wie dem Lenz gemein;Ein Wallen, Fluthen, Ueberschäumen,Ein Stürmen, Rasten oder Träumen,Bald Regensturm, bald Sonnenschein,Was mag da Herz, was Lenz wohl sein?Die Sonne weckt den Lenz der Erde,Die Liebe weckt des Herzens Mai,Wer kündet, wo ein sel'ger „Werde“Und wo die schön're Sonne sei? [1]
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* * *II.Ein Drängen, Treiben, Grünen, Blühen,Ein Jauchzen, Bangen, Wonn'erglühen,Dem Herzen wie dem Lenz gemein;Ein Wallen, Fluthen, Ueberschäumen,Ein Stürmen, Rasten oder Träumen,Bald Regensturm, bald Sonnenschein; —Was mag da Herz, was Lenz wohl sein?Die Sonne weckt den Lenz der Erde; —Die Liebe weckt des Herzens Mai; —Wer kündet, wo ein sel'ger „Werde“Und wo die schön're Sonne sei? [2]
II.Ein Drängen, Treiben, Grünen, Blühen,Ein Jauchzen, Bangen, Wonn' Erglühen,Dem Herzen wie dem Lenz gemein;Ein Wallen, Fluthen, Ueberschäumen,Ein Stürmen, Rasten oder Träumen,Bald Regensturm, bald Sonnenschein,Was mag da Herz, was Lenz wohl sein?Die Sonne weckt den Lenz der Erde,Die Liebe weckt des Herzen's Mai,Wer kündet, wo ein sel'ger „Werde“Und wo die schön're Sonne sei? — [4]
III.O Lenzesgrün, Du Augenwonne,O Jugendblüh'n, Du Herzenssonne,So jung und frisch und hoffnungsschön,Das Auge kann nicht satt sich sehn!Drum hat der Lenz in tausend KnospenDie Blumenaugen aufgemachtUnd schaut verwundert auf das PrangenDer morgenschönen Maienpracht!Ein Jüngling sinnend steht am Hage,Blickt staunend in des Werdens Luft,Auf seinen Lippen eine FrageUnd tausend Wünsche in der Brust!Wer giebt ihm Antwort: Horch! Ein KlangVon sehnsuchtsvollen FlötentönenErschallt der Nachtigall Gesang,Verzitternd sanft in linder Luft,Und Harmonie des EwigschönenBeseelt die Welt von Farb' und Duft!Die Antwort auf des jungen Herzens Fragen?Die Nachtigall im Hag hat sie geschlagen! [1]
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III.O Lenzesgrün, du Augenwonne,O Jugendblüh'n, Du Herzenssonne,So jung und frisch und hoffnungsschön,Das Auge kann nicht satt sich seh'n! —D'rum hat der Lenz in tausend KnospenDie Blumenaugen aufgemacht;Und schaut verwundert auf das PrangenDer morgenschönen Maienpracht! —Ein Jüngling sinnend steht am Hage,Blickt staunend in des Werdens Luft,Auf seinen Lippen eine FrageUnd tausend Wünsche in der Brust!Wer giebt ihm Antwort? Horch! Ein KlangVon sehnsuchtsvollen Flötentönen,Erschallt der Nachtigall Gesang,Verzitternd sanft in linder Luft; —Und Harmonie des EwigschönenBeseelt die Welt von Farb' und Duft!Die Antwort auf des jungen Herzens Fragen? —Die Nachtigall im Hag hat sie geschlagen! [2]
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III.O Lenzes Grün, Du Augen Wonne,O Jugend Blüh'n, Du Herzens Sonne,So jung u. frisch u. hoffnungsschön,Das Auge mag nicht satt sich seh'n!Drum hat der Lenz in tausend KnospenDie Blumen Augen aufgemacht,Und schaut verwundert auf das PrangenDer Morgenschönen Maienpracht.Ein Jüngling sinnend steht am Hage,Blickt staunend auf des Werden's Luft,Auf seinen Lippen eine FrageUnd tausend Wünsche in der Brust!Wer giebt ihm Antwort? Horch! Ein KlangVon schwermuthsvollen Flöten TönenErschallt der Nachtigall GesangVerzitternd sanft in linder Luft,Und Harmonie des Ewig SchönenBeselt die Welt von Farb' u. Duft!Die Antwort auf des jungen Herzen's Fragen?Die Nachtigall im Hag hat sie geschlagen! — [4]
IV.Die Nachtigall hat sich zu Tod gesungen,Vor Liebesweh ist ihr die Brust zersprungenUnd sterbend fiel sie in die Blüthen nieder,Die Erde birgt ihr unscheinbar Gefieder!Wer aber hat das junge Grün gekränkt?Die ungestüme Sonne hat's versengt!Die Blumen stehen mit gebleichten Wangen,Um's junge Menschenherz ergreift mich Bangen!Getrost! In Fieberfrost und WonneschauernWird es wohl manchen Frühling überdauern,Es lernt der Sonne ungestümen Brand ertragenUnd neuem schönerm Lenz entgegenschlagen! [1]
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IV.Die Nachtigall hat sich zu Tod gesungen:Vor Liebesweh ist ihr die Brust zersprungenUnd sterbend fiel sie in die Blüthen nieder;Die Erde birgt ihr unscheinbar Gefieder! —Wer aber hat das junge Grün gekränkt? —Die ungestüme Sonne hat's versengt! —Die Blumen stehen mit gebleichten Wangen. —Um's junge Menschenherz ergreift mich Bangen!Getrost! In Fieberfrost und WonneschauernWird es wohl manchen Frühling überdauern;Es lernt der Sonne ungestümen Brand ertragenUnd neuem, schöner'm Lenz entgegenschlagen! — [2]
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IV.Die Nachtigall hat sich zu Tod gesungen,Vor Liebesweh ist ihr die Brust gesprungenUnd sterbend fiel sie in die Blüthen niederDie Erde birgt ihr unscheinbar' Gefieder!Was aber hat das junge Grün gekränkt?Die ungestüme Sonne hat's versengt.Die Blumen all', steh'n mit gebleichten Wangen,Um's junge Menschen Herz ergreift mich Bangen!Getrost! In Fieberfrost u. WonneschauernWird es wohl manchen Frühling überdauern,Es lernt der Sonne ungestümen Brand ertragenUnd Neuem, schöner'm Lenz entgegen schlagen! — [4]
V.Viel Lenze kommen und Lenze vergeh'n,Viel Blumen blühen und wieder verweh'n.Wer zählt die Wünsche unerfüllt?Wer mißt das Sehnen ungestillt?Im Herzen der Erde die Flamme glüht,Im Herzen der Menschheit die Liebe blüht,Es harrt und hofft und liebt und bricht —Das Herz der Menschheit altert nicht!Verrathen, betrogen, zum Tode wund,In Schmerzen erzogen — doch immer gesund!Es schlägt im Palast an des Kaisers Ohr,Es schlägt im Busen, der selbst sich verlor!Das ist der Verjüngung unsterblicher Born,Aus dem die Gedanken, die ewigen, fließen,Das ist der unentweihte Grund,Auf dem die großen Thaten sprießen!Und wenn Dich das Leben arm bedünktUnd schal Dir erscheint des Daseins Luft,So wirf Dich schluchzend an seine Brust:
Am Herzen der Menschheit, da wirst Du verjüngt! [1]
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V.Viel Lenze kommen — und Lenze vergeh'n; —Viel Blumen blühen — und wieder vergeh'n. —Wer zählt die Wünsche unerfüllt?Wer mißt das Sehnen ungestillt?Im Herzen der Erde die Flamme glüht; —Im Herzen der Menschheit die Liebe blüht; —Es harrt und hofft und liebt und bricht —Das Herz der Menschheit altert nicht!Verrathen, betrogen, zum Tode wund,In Schmerzen erzogen — doch immer gesund!Es schlägt im Palast an des Kaisers Ohr;Es schlägt im Busen, der selbst sich verlor!Das ist der Verjüngung unsterblicher Born,Aus dem die Gedanken, die ewigen, fließen; —Das ist der unentweihte Grund,Auf dem die großen Thaten sprießen! —Und wenn Dich das Leben arm bedünkt,Und schal Dir erscheint des Daseins Luft,So wirf Dich schluchzend an seine Brust:
Am Herzen der Menschheit, da wirst Du verjüngt! [2]
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V.Viel Lenze kommen und Lenze vergeh'n,Viel Blumen blühen und wieder verweh'n,Wer zählt die Wünsche unerfüllt?Wer mißt das Sehnen ungestillt?Im Herzen der Erde die Flamme glüht,Im Herzen der Menschheit die Liebe blüht,Es harrt und hofft und liebt und bricht,Das Herz der Menschheit altert nicht!Verrathen, betrogen, zum Tode wund,In Schmerzen erzogen — doch immer gesund!Es schlägt im Palast an des Kaiser's Ohr,Es schlägt im Busen, Der selbst sich verlor.Das ist der Verjüngung unsterblicher Born,Aus dem die Gedanken, die Ewigen, fließen,Das ist der unentweihte Grund,Auf Dem die großen Thaten sprießen!Und wenn Dich das Leben arm bedünkt,Und schal Dir erscheint des Daseins Luft,So wirf' Dich schluchzend an seine Brust:
Am Herzen Der Menschheit wirst Du verjüngt! — [4]
Bilder:
Quellen:
- Caritas. Album von Original-Beiträgen Dresdner Dichter und Schriftsteller. Erste Auflage, Dresden 1878, S. 177 - 180.
- Caritas. Album von Original-Beiträgen Dresdner Dichter und Schriftsteller. Zweite Auflage, Dresden 1878, S. 177 - 180.
- Ebenda, S. I, 177.
- Stadtarchiv Zürich VII. 84. 2. II. A. Manuskripte.
Links:
- Simon, Marie (Sächsische Biografie)
- Heilstätte Loschwitz
Bibliografie:
- Wesendonck, Mathilde: Gedichte. In: Criegern, Friedrich von (Hrsg.): Caritas. Album von Original-Beiträgen Dresdner Dichter und Schriftsteller. Stiftungs-Vorstand der Deutschen Heilstätte zu Loschwitz durch den Vorsitzenden Friedrich von Criegern. Verlag von E. Pierson's Buchhandlung, Dresden 1878. V, 369 S., mit 3 montierten Foto-Tafeln und Holzstich-Vignetten, Druck W. Drugulin, Leipzig, S. 177 - 180.
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