Der Neck
⌂ 1862 / 1874
Gedicht
Ein Gedicht von Mathilde Wesendonck aus dem Jahre 1862, publiziert in ihrem Band Gedichte, Volkslieder, Legenden, Sagen und in ihrem Band Gedichte, Volksweisen, Legenden und Sagen (Nordische Sagen) von 1874.
Richard Wagner war auch nach seinem Auszug aus dem „Asyl“ durchaus an ihrem weiteren Schaffen interessiert und äußerte seine Meinung. So auch in einem Brief an sie vom 9. Juni 1862 aus Biebrich:
Das Gedicht, das Sie mir heut schickten, ist sehr schön, ich glaube, wirklich meisterhaft.
Der Witz der Sage erscheint mir nur jetzt anders. Dem Neck wird dort die schmeichelnde Hoffnung gegeben: ich für mein Teil verstehe keine Hoffnung mehr, und für nichts bin ich unzugänglicher geworden als für ihren Zuspruch. Dagegen verstehe ich jetzt die Seligkeit, die wir wirklich nicht erst zu erhoffen haben, sondern deren wir Herr sind.
Wagner hatte zu dieser Zeit gerade angefangen, die Partitur zu seinem Meistersinger-Vorspiel zu schreiben. Ein Jahr zuvor ist seine Oper Tannhäuser in Paris mit einem Skandal durchgefallen, er steckte wieder in Schwierigkeiten, die sich bis 1864 noch verschärfen sollten. Allerdings hatte er auch gerade Ende März seinen vollständigen Amnestiebescheid aus Sachsen erhalten, so dass ihm nun wieder ganz Deutschland offen stand. [1]
Die Textpassagen nach dem | sind die Änderungen in der Publikation von 1874.
Der Neck.
Es klingt so seltsam, süß und frei
Von Maelar's* Uferrand | Maelars
Des Meermanns alte Melodei
Wohl über den stillen Strand.
Und Alles lauscht und lugt und lebt,
Die Sonne säumig sinkt,
Das Fischlein aus der Fluth sich hebt
Und blickt so klug und blinkt.
Vernimmt's ein Mensch gar aus der Näh',
Vor Staunen steht er stumm; | ,
Ihm wird so wonnig, wird so weh,
Und weiß doch nicht, warum.
Zwei Kinder spielen mit Kieseln im Sand,
Im goldnen Abendschein, | gold'nen
Sie meistern den Meermann aus Unverstand:
„Laß, Fiedler, Dein Fiedeln doch sein!“
Die Mutter sprach, und sie spricht wahr, | sprach und
Das fromme Mütterlein:
„Und fiedelt der Neck viel tausend Jahr',
Kann doch nie selig sein“
Da weint der Alte vor wildem Weh,
In Zähren er zagend zerfließt,
Und schluchzend über der schäumenden See
Sein Sängermund sich schließt.
Doch heiter künden die Kinder zur Nacht
Die Märe der Mutter sodann,
Wie sie dem Garst'gen den Garaus gemacht,
Dem grauen, grämlichen Mann.
Die Mutter sinnt ernst und sorget sehr,
Und heißt sie wieder gehn | geh'n
Zurück an das brandende, brausende Meer,
Den Spielmann zu erspäh'n.
Und als sie kommen an's kochende Meer, | brausende
Die Woge sich wuchtig bäumt,
Und grausig grollend, gewitterschwer | ,
Die Windsbraut schnaubt und schäumt.
Da flehn sie furchtsam zum Fiedler leis': | fleh'n
„Steig auf aus feuchter Fluth,
Wir tadelten Armen Dich thörichter Weis', | , Armen,
Spiel auf uns Dein Liedlein gut!“ | Spiel' ohne “
Die Mutter sprach, und sie spricht wahr,
Das fromme Mütterlein:
„Sollst fidlen lustig viel tausend Jahr, | ohne „ fiedeln Jahr'
kannst doch noch selig sein.“
Sie flehen so innig, so minnig sie flehn: | fleh'n
„Spiel wieder, du Spielmann traut!“ | Spiel' Du
Da mochte der Alte nicht widerstehn, | wiedersteh'n,
Er fidelte lustig und laut. | fiedelte
Das klang so seltsam, süß und frei,
Und Welle an Welle sich schmiegt; | :
Des Meermanns alte Melodei
Hat sie in Schlaf gewiegt. [2, 3]
* Maelar-See, auch Vetter-See genannt, im Süden von Schweden.
Bilder:
Quellen:
- Seidel, Thomas (Hrsg.): Mathilde & Otto Wesendonck. Ein Handbuch für Forschung & Information. Materialien zu Leben – Werk – Wirkung. Teil I – Bibliografie – Primärliteratur. (= Schriften des Mathilde-Wesendonck-Verbandes. Heft 4.) Selbstverlag, Berlin 2022, S. 186–187.
- Wesendonck, Mathilde: Gedichte, Volkslieder, Legenden, Sagen. Druck E. Kiesling, Zürich 1862, S. 91–93.
- Wesendonck, Mathilde: Nordische Sagen. Der Neck. In: Wesendonck, Mathilde: Gedichte, Volksweisen, Legenden und Sagen. Verlag der Dürr'schen Buchhandlung, Leipzig 1874, S. 243–245.
Bibliografie:
- Wesendonck, Mathilde: Gedichte, Volkslieder, Legenden, Sagen. Druck E. Kiesling, Zürich 1862.
- Wesendonck, Mathilde: Gedichte, Volksweisen, Legenden und Sagen. Verlag der Dürr'schen Buchhandlung, Leipzig 1874.
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