20.08.2010

Ich hab' dich aufgenommen

Richard Sternfeld (Hrsg.): Richard Wagner. Tagebuchblätter und Briefe an Mathilde Wesendonk. 1853–1871. Eingeleitet und erläutert von Professor Dr. R. Sternfeld. Deutsche Buch-Gemeinschaft G.m.b.H., Berlin o. J. (1924)Ich hab' dich aufgenommen


1864

Gedicht von Mathilde Wesendonck


Dieses Gedicht von Mathilde Wesendonck ist in der Briefausgabe von Richard Sternfeld um 1924 abgedruckt worden. 
 
   
Dieses Gedicht entstand wohl zu einer Zeit, als sich die Beziehungen zwischen den Wesendoncks und Richard Wagner merklich abkühlten. Der Grund war, dass Wagner bei den Wesendoncks wegen seiner Wiener Lebensverhältnisse und Penzinger Schulden kein Gehör und kein Verständnis mehr fand.
Im März / April 1864 verweigerte Otto Wesendonck aus den verschiedensten Gründen ihm die "Notunterkunft" in ihrem Hause. Wie oben erwähnt, kamen ihnen unerfreuliche Dinge zu Gehör über sein Leben in Wien, aber auch herrschte immer noch der amerikanische Bürgerkrieg, so dass Ottos Finanzen weiterhin unsicher waren. Und andererseits war in der Familie gerade ein Todesfall zu verkraften: Am 17. März 1864 verstarb der Bruder von Mathilde, Rudolph Luckemeyer 38-jährig im französischen Mentone. 
Otto Wesendonck schrieb am 27. März 1864, am Ostersonntag, an Eliza Wille als Antwort auf ihren weitergeleiteten Brief Richard Wagners vom 24. März 1864, in dem er um "Gastfreundschaft" bittet:
So eben, liebe Frau Doktor, erhalte ich Ihre Zeilen von gestern Morgen. Auch ich bin überrascht; ich hoffe aber, Sie können Wagner Asyl geben. Ich kann  e s   n i c h t ; Sie können das vollkommen würdigen – Worte genug wollen hervordringen; doch ich beschränke mich.
Ich sage meiner Frau heute nichts, da ... sie der Ruhe bedarf.
Mein armer Schwager ist am 17. dies. in Mentone sanft entschlafen – Mein Schwiegervater und die einsame Schwägerin
[Marie Luckemeyer] kehren nun allein zurück – Genug der Trauer!
Ich weiß nicht, ob Sie benachrichtigt waren – Wir haben hier keine Anzeige gemacht.
[1]
Aufnahme fand er dann doch in Mariafeld bei Eliza Wille.
Einen anderen, tieferen Grund kann man nur mutmaßen. Es war den Freunden manches über Wagners Leben in Wien zu Ohren gekommen, das, wenn auch durch übertreibende Gerüchte verschlimmert, nicht ohne Berechtigung war und an ihm irre werden ließ. Er hatte sich höchst üppig eingerichtet und hohe Wechselschulden gemacht; es war, als wenn ihn die Luft dieses „Capua der Geister“ angesteckt und das Scheitern all seiner Pläne ihn in eine verzweifelte Laune gebracht hätte, in der er seinen Ruf auf das Spiel setzte; auch ist nie eine Zeit seines Lebens so unfruchtbar gewesen wie diese Penzinger Episode.
Mathilde hat wohl mit tiefer Trauer Dinge gehört, die ihr den großen Freund in unwürdigem Vergessen seiner selbst zeigten. Vielleicht bezieht sich darauf ihr schmerzliches Gedicht
. [2]
 
 
Ich hab' dich aufgenommen

Ich hab' dich aufgenommen
Wie eines Königs Sohn
Und hieß dich niedersitzen
Auf meines Herzens Thron.

Ich hab' mit meinen Küssen
Getrocknet die Tränen dein
Und legt' in deine Wunden
Meine große Liebe hinein.

Ich hab' dein Haupt gesalbet
Mit köstlichen Spezerein,
Ich hab' deine Füße getrocknet
Mit den langen Haaren mein.

Du aber sprachst der Liebe
Und der ew'gen Treue Hohn
Und irrst in des Lebens Wildnis
Nun um, ein verlorner Sohn. [3]

 

Bilder:
  1. Sternfeld, Richard (Hrsg.): Richard Wagner. Tagebuchblätter und Briefe an Mathilde Wesendonk. 1853–1871. Eingeleitet und erläutert von Professor Dr. R. Sternfeld. Deutsche Buch-Gemeinschaft G.m.b.H., Berlin o. J. (1924).

Quellen:
  1. Zitiert nach: Fehr, Max: Richard Wagners Schweizer Zeit. Zweiter Band, 1855 bis 1872, 1883. Verlag H. R. Sauerländer & Co, Aarau und Frankfurt am Main 1953, S. 200–201.
  2. Sternfeld, Richard Einleitung. In: Sternfeld, Richard (Hrsg.): Richard Wagner. Tagebuchblätter und Briefe an Mathilde Wesendonk. 1853–1871. Eingeleitet und erläutert von Professor Dr. R. Sternfeld. Deutsche Buch-Gemeinschaft G.m.b.H., Berlin o. J. (1924), S. 31–32. 
  3. Sternfeld, Richard Einleitung. In: Sternfeld, Richard (Hrsg.): Richard Wagner. Tagebuchblätter und Briefe an Mathilde Wesendonk. 1853–1871. Eingeleitet und erläutert von Professor Dr. R. Sternfeld. Deutsche Buch-Gemeinschaft G.m.b.H., Berlin o. J. (1924), S. 32. 

Bibliografie:
  • Fehr, Max: Richard Wagners Schweizer Zeit. Zweiter Band, 1855 bis 1872, 1883. Verlag H. R. Sauerländer & Co, Aarau und Frankfurt am Main 1953.
  • Sternfeld, Richard (Hrsg.): Richard Wagner. Tagebuchblätter und Briefe an Mathilde Wesendonk. 1853–1871. Eingeleitet und erläutert von Professor Dr. R. Sternfeld. Deutsche Buch-Gemeinschaft G.m.b.H., Berlin o. J. (1924).


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