31.08.2010

Hernieder sank der heilige Gral

Stockar-Escher, Clementine: Richard Wagner. Aquarell, 1853Hernieder sank der heilige Gral


1853

Gedicht 


Ein Gedicht von Mathilde Wesendonck aus dem Jahre 1853, welches ihr zugeschrieben wird. Es wurde im ersten Band von Max Fehr, Richard Wagners Schweizer Zeit veröffentlicht.
 
  
Am 18., 20. und 22. Mai 1853 fanden drei Konzerte im Aktientheater in Zürich statt, bei denen ausschließlich Wagners Werke gespielt wurden. Diese Konzerte sind gewissermaßen die ersten Wagner-Festspiele, das Züricher Musikfest im Aktientheater. Mit diesen Musteraufführungen seiner Werke setzte er erstmals alle wichtigen Elemente seiner Festspielidee um.
Diese Aufführungen mit Festcharakter wurden durch Anteilscheine finanziert, was genauer heißt, dass acht vermögende Männer aus Zürich, darunter Otto Wesendonck, für die Festwoche bürgten. Am Ende wurde das Defizit von fast 2.000 Franken von ihnen beglichen.
 
In der ersten Maiwoche 1853 verfasste Wagner zunächst das 16-seitige Programm mit einer Vorbemerkung und Erläuterungen zu den einzelnen Werken. Das Programm des Festes lautete:
  1. Friedensmarsch aus „Rienzi“. 
  2. „Der fliegende Holländer“:
    Ballade der Senta
    Lied norwegischer Matrosen
    „Des Holländers Seefahrt“ (Ouvertüre). 
  3. „Tannhäuser“:
    Festlicher Einzug der Gäste auf Wartburg, mit Chor „Freudig begrüßen wir die Halle“.
    Tannhäusers Bußfahrt (= Instrumentaleinleitung zum III. Akt) und Gesang der heimkehrenden Pilger.
    „Der Venusberg“ (Ouvertüre) 
  4. „Lohengrin“:
    „Der heilige Gral“ (Vorspiel).
    Männerszene und Brautzug.
    Hochzeitsmusik (= Instrumentaleinleitung zum III. Akt) und Brautlied.
Die Eidgenössische Zeitung schrieb darüber nach den ersten Tag: 
Wie die Fürsten ihre stolzen Hoffeste feiern, so haben wir gestern ein Musikfest gefeiert, um das uns wegen seines Glanzes und Gehaltes alle Residenzstädte Europas hätten beneiden können. Auch wir haben einen König in unserer Mit-te, der uns mit seiner Huld erfreut, sein Reich aber ist die Kunst.
Der dritte Konzerttag - es war der 22. Mai 1853, dem 40. Geburtstag von Richard Wagner - steigerte sich zu einem absoluten Höhepunkt. Mit dem Verklingen der letzten Töne jubelte das ganze Haus und es flogen Kränze und Bouquets von allen Seiten. Die Musiker spielten einen Tusch. 
Ein Sänger trat vor und rezitierte ein Gedicht, welches das Wirken des hochbegabten Mannes würdig feierte, und die schönste der Frauen überreichte ihm den Lorbeerkranz, den der bescheidene Meister sich nicht auf die Stirne drücken ließ. Der Rezitator war Wilhelm Niedermann-Studer, Sattlermeister und Mitgründer des Sängervereins Harmonie, ein sehr begabter Deklamator. 
Dieses Gedicht an Wagner befindet sich (1934) im Nachlass der 1912 verstorbenen Frau Emilie Heim, wird aber Mathilde Wesendonck zugeschrieben.

 
A n   R i c h a r d   W a g n e r
nach seinem 3. Konzerte in Zürich
an seinem 40. Geburtstage
den 22. Mai 1853
vorgetragen von W. Niedermann. 


Hernieder sank der heilige Gral,
Ergoß in das Leben den ewigen Quell,
Von Herz zu Herzen und Well auf Well,
Und Gottes Kraft beseligt die Welt.

Die Erde trinkt in tiefem Zug,
Und was sie zu wildem Sturme trieb,
Befreit in ihr die göttliche Lieb,
Und endlos blüht die schöne Welt.

Und ewig blüht mit ihr das Herz.
Und ewig frei der Geist sich ringt,
Und alle Welt ein Kranz umschlingt,
Besiegelt von der Liebe Kuß.

Den tiefsten Zug hast Du getan,
Du freier Mann mit Leier und Schwert.
Des heiligen Kampfes hast Du begehrt,
Und hehr des Friedens Werk vollbracht.

Du greifst mit Deiner kühnen Hand
In alle Saiten der Natur,
Und auf der Töne lichter Spur
Steigt höchste Wahrheit Dir empor.

Dir ist Natur und Geist Akkord,
In Deinem Reich der Harmonie
Trennt Wahrheit sich vom Leben nie,
Wird reinster Tugend freie Tat.

So blüht aus Deiner Seele Grund
Zu Tag der schönste Maienkranz;
Des Frühlings Wehn, sein Duft, sein Glanz
Strömt warm und hell aus Deinem Lied.

Die Hoffnung, so begraben lag,
Du trägst sie lebensstark voran,
Daß Schritt um Schritt auf Deiner Bahn,
Der Freiheit Siegesjubel schallt.

Ein Gott die Leier Dir beschied.
O, greif hinein mit frischem Mut
Und laß des Herzens tiefste Glut
Zum Flammenlichte auferstehn!

Es faßt die stille Alpenwelt
Des großen Meisters ernsten Chor,
Sie trägt zum Himmel ihn empor,
Im Echo durch die ganze Welt.

Es steht um Dich ein freies Volk;
Trieb Dich der Sturm vom Vaterort,
Dir blieb fortan der beste Hort:
Der freien Männer treues Herz!

Gepriesen sei die heilge Kunst,
Die frei ins volle Leben dringt
Und jubelnd sich zum Höchsten schwingt,
Mit allem, was die Brust empfand!

Gespriesen sei des Meisters Kraft,
Die alle Herzen sich erschließt,
Ins ärmste höchste Wonne gießt,
Dem ganzen Volk ein Segensborn.

Es winkt ein klares Morgenrot.
In dieses jungen Tages Lauf
Geht nun der Schönheit Blüte auf,
Und  d i r  gehört der Ehrenkranz. [1]

 

Bilder:
  1. Vergrößern Stockar-Escher, Clementine: Richard Wagner. Aquarell, 1853. Es entstand wenige Monate vor Richard Wagners 40. Geburtstag. Nationalarchiv der Richard-Wagner-Stiftung Bayreuth.

Quellen:
  1. Wesendonck, Mathilde: An Richard Wagner nach seinem 3. Konzerte in Zürich. In: Fehr, Max: Richard Wagners Schweizer Zeit. 2 Bände, Erster Band: 1849–1855 / Zweiter Band: 1855 bis 1872/1883. Verlag H. R. Sauerländer & Co., Aarau und Leipzig / Frankfurt am Main 1934/1953, Erster Band, S. 231 - 233.

Bibliografie:
  • Fehr, Max: Die Maikonzerte und ihr Widerhall. In: Fehr, Max: Richard Wagners Schweizer Zeit. 2 Bände, Erster Band: 1849–1855 / Zweiter Band: 1855 bis 1872/1883. Verlag H. R. Sauerländer & Co., Aarau und Leipzig / Frankfurt am Main 1934/1953, Erster Band, S. 223 - 237.


27.08.2010

Der Engel

Wesendonck-Lieder. Edition Peters, Leipzig 1910Der Engel
In der Kindheit frühen Tagen


1857

Gedicht von Mathilde Wesendonck


Dieses Gedicht von Mathilde Wesendonck ist zugleich das Lied I der Wesendonck-Lieder von Richard Wagner von 1857/58


William Turner: Der Engel vor der Sonne. 1846
Turner, William: Der Engel vor der Sonne. 1846.
(The Angel Standing in the Sun) Tate Gallery, London, Öl auf Leinwand, 79 x 79 cm.

Dieses Gedicht von Ende November 1857 ist Teil eines Gedichtszyklusses, welchen Mathilde Wesendonck Richard Wagner während seiner Asyl-Zeit überreichte. Dieser vertonte die einzelnen Gedichte quasi über Nacht und arrangierte sie nach seinem Weggang aus Zürich 1858 neu zu den heutigen Wesendonck-Liedern


Der Engel

In der Kindheit frühen Tagen
Hört' ich oft von Engeln sagen,
Die des Himmels hehre Wonne
Tauschten mit der Erdensonne:
 
Dass wo bang' ein Herz in Sorgen
Schmachtet vor der Welt verborgen,
Dass wo still es will verbluten,
Und vergehn in Thränenfluthen,
 
Dass wo brünstig sein Gebet
Einzig um Erlösung fleht,
Da der Engel niederschwebt,
Und es sanft gen Himmel hebt.
 
Ja, es stieg auch mir ein Engel nieder,
Und mit strahlendem Gefieder
Führt er, ferne jedem Schmerz,
Meinen Geist nun Himmelwärts. [1]

 

Bilder:
  1. Vergrößern  Fünf Gedichte von Mathilde Wesendonk für eine Frauenstimme und Klavier von Richard Wagner. C. F. Peters, Leipzig 1910 (= Edition Peters, 9845). 

Quellen:
  1. Krause-Graumnitz, Heinz (Hrsg.): Wagner, Richard: Fünf Gedichte für eine Frauenstimme (Wesendonk-Lieder). VEB Deutscher Verlag für Musik, Leipzig 1962 (= Faksimile-Ausgabe des autographen Originalmanuskripts). 

Links:

Bibliografie:
  • Fünf Gedichte für eine Frauenstimme in Musik gesetzt von Richard Wagner. Insel-Verlag, Leipzig o. J. (1913) (= Insel-Bücherei Bd. 107) [Deckeltitel: Fünf Gedichte von Mathilde Wesendonck in Musik gesetzt von Richard Wagner].    


Träume

Wesendonck-Lieder. Edition Peters, Leipzig 1910Träume
Sag', welch wunderbare Träume


1857

Gedicht von Mathilde Wesendonck


Dieses Gedicht von Mathilde Wesendonck ist zugleich das Lied V der Wesendonck-Lieder von Richard Wagner von 1857/58.  


Henri Rousseau: Der Traum. 1910
Rousseau, Henri: Der Traum. 1910.
Le rêve. Museum of Modern Art, New York, Leinwand, 204 x 298 cm.

Dieses Gedicht von Anfang Dezember 1857 ist Teil eines Gedichtszyklusses, welchen Mathilde Wesendonck Richard Wagner während seiner Asyl-Zeit überreichte. Dieser vertonte die einzelnen Gedichte quasi über Nacht und arrangierte sie nach seinem Weggang aus Zürich 1858 neu zu den heutigen Wesendonck-Liedern


Träume

Sag', welch wunderbare Träume
Halten meinen Sinn umfangen,
Dass sie nicht wie leere Schäume
Sind in ödes Nichts vergangen?
 
Träume, die in jeder Stunde,
Jedem Tage schöner blüh'n,
Und mit ihrer Himmelskunde
Selig durchs Gemüthe ziehn?
 
Träume die wie hehre Strahlen
In die Seele sich versenken,
Dort ein hehres Bild zu malen,
Allvergessen, Eingedenken?
 
Träume die wie Frühlingssonne
Aus dem Schnee die Blüthen küsst,
Dass zu nie geahnter Wonne
Sie der neue Tag begrüsst,
 
Dass sie wachsen, dass sie blühen,
Träumend spenden ihren Duft,
Sanft an deiner Brust verglühen,
Und dann sinken in die Gruft? [1]

 

Bilder:
  1. Vergrößern  Fünf Gedichte von Mathilde Wesendonk für eine Frauenstimme und Klavier von Richard Wagner. C. F. Peters, Leipzig 1910 (= Edition Peters, 9845). 

Quellen:
  1. Krause-Graumnitz, Heinz (Hrsg.): Wagner, Richard: Fünf Gedichte für eine Frauenstimme (Wesendonk-Lieder). VEB Deutscher Verlag für Musik, Leipzig 1962 (= Faksimile-Ausgabe des autographen Originalmanuskripts)

Links:

Bibliografie:
  • Fünf Gedichte für eine Frauenstimme in Musik gesetzt von Richard Wagner. Insel-Verlag, Leipzig o. J. (1913) (= Insel-Bücherei Bd. 107) [Deckeltitel: Fünf Gedichte von Mathilde Wesendonck in Musik gesetzt von Richard Wagner].    


Schmerzen

Wesendonck-Lieder. Edition Peters, Leipzig 1910Schmerzen
Sonne, weinest jeden Abend


1857

Gedicht von Mathilde Wesendonck


Dieses Gedicht von Mathilde Wesendonck ist zugleich das Lied IV der Wesendonck-Lieder von Richard Wagner von 1857/58



Ferdinand Hodler: Sonnenuntergang am Genfer See. 1915
Hodler, Ferdinand: Sonnenuntergang am Genfer See. 1915.
Öl auf Leinwand, 61 x 90 cm.

Dieses Gedicht von Mitte Dezember 1857 ist Teil eines Gedichtszyklusses, welchen Mathilde Wesendonck Richard Wagner während seiner Asyl-Zeit überreichte. Dieser vertonte die einzelnen Gedichte quasi über Nacht und arrangierte sie nach seinem Weggang aus Zürich 1858 neu zu den heutigen Wesendonck-Liedern


Schmerzen

Sonne, weinest jeden Abend
Dir die schönen Augen roth,
Wenn im Meeresspiegel badend
Dich erreicht der frühe Tod:
 
Doch erstehst in alter Pracht,
Glorie der düstren Welt,
Du am Morgen neu erwacht,
Wie ein stolzer Siegesheld!
 
Ach, wie sollte ich da klagen,
Wie, mein Herz, so schwer dich seh'n,
Muss die Sonne selbst verzagen,
Muss die Sonne untergehn?
 
Und gebieret Tod nur Leben,
Geben Schmerzen Wonnen nur:
O, wie dank' ich, dass gegeben
Solche Schmerzen mir Natur! [1]

 

Bilder:
  1. Vergrößern  Fünf Gedichte von Mathilde Wesendonk für eine Frauenstimme und Klavier von Richard Wagner. C. F. Peters, Leipzig 1910 (= Edition Peters, 9845). 

Quellen:
  1. Krause-Graumnitz, Heinz (Hrsg.): Wagner, Richard: Fünf Gedichte für eine Frauenstimme (Wesendonk-Lieder). VEB Deutscher Verlag für Musik, Leipzig 1962 (= Faksimile-Ausgabe des autographen Originalmanuskripts)

Links:

Bibliografie:
  • Fünf Gedichte für eine Frauenstimme in Musik gesetzt von Richard Wagner. Insel-Verlag, Leipzig o. J. (1913) (= Insel-Bücherei Bd. 107) [Deckeltitel: Fünf Gedichte von Mathilde Wesendonck in Musik gesetzt von Richard Wagner].    


26.08.2010

Stehe still!

Wesendonck-Lieder. Edition Peters, Leipzig 1910Stehe still!
Sausendes, brausendes Rad der Zeit


1858

Gedicht von Mathilde Wesendonck


Dieses Gedicht von Mathilde Wesendonck ist zugleich das Lied II der Wesendonck-Lieder von Richard Wagner von 1857/58


Zeit-Wirbel
Zeit-Wirbel.

Dieses Gedicht vom 20. Februar 1858 ist Teil eines Gedichtszyklusses, welchen Mathilde Wesendonck Richard Wagner während seiner Asyl-Zeit überreichte. Dieser vertonte die einzelnen Gedichte quasi über Nacht und arrangierte sie nach seinem Weggang aus Zürich 1858 neu zu den heutigen Wesendonck-Liedern


Stehe still!

Sausendes, brausendes Rad der Zeit,
Messer du der Ewigkeit;
Leuchtende Sphären im weiten All,
Die ihr umringt den Weltenball;
Urewige Schöpfung, halte doch ein,
Genug des Werdens, lass mich sein!
 
Halte an dich, zeugende Kraft,
Urgedanke, der ewig schafft,
Hemmet den Athem, stillet den Drang,
Schweiget nur eine Sekunde lang!
Schwellende Pulse, fesselt den Schlag;
Ende, des Wollens ew'ger Tag!
Dass in selig süßem Vergessen
Ich mög' alle Wonnen ermessen;

Wenn Aug' in Auge wonnig trinken,
Seele ganz in Seele versinken;
Wesen in Wesen sich wiederfindet,
Und alles Hoffens Ende sich kündet;
Die Lippe verstummt in staunendem Schweigen,
Keinen Wunsch mehr will das Innre zeugen:
Erkennt der Mensch des Ew'gen Spur,
Und löst dein Räthsel, heil'ge Natur! [1]

 

Bilder:
  1. Vergrößern  Fünf Gedichte von Mathilde Wesendonk für eine Frauenstimme und Klavier von Richard Wagner. C. F. Peters, Leipzig 1910 (= Edition Peters, 9845). 

Quellen:
  1. Krause-Graumnitz, Heinz (Hrsg.): Wagner, Richard: Fünf Gedichte für eine Frauenstimme (Wesendonk-Lieder). VEB Deutscher Verlag für Musik, Leipzig 1962 (= Faksimile-Ausgabe des autographen Originalmanuskripts). 

Links:

Bibliografie:
  • Fünf Gedichte für eine Frauenstimme in Musik gesetzt von Richard Wagner. Insel-Verlag, Leipzig o. J. (1913) (= Insel-Bücherei Bd. 107) [Deckeltitel: Fünf Gedichte von Mathilde Wesendonck in Musik gesetzt von Richard Wagner].